Blitz und Donner
Von Martin Luther wird überliefert, er habe eine seiner wichtigsten Lebensentscheidungen nach dem Erlebnis großer Angst während eines schweren Gewitters getroffen. Daran fühlte ich mich erinnert, als ich vor einigen Jahren mit meinem Sohn auf dem Rücksitz auf Motorradtour war. Wir geraten dabei nachts in ein heftiges Gewitter. Die Sicht ist wegen des starken Regens schlecht, und wir warten eine gefühlte Ewigkeit an einer geschlossenen Bahnschranke. Ich überlege, ob wir nicht ein paar Kilometer zurückfahren sollen. Vor wenigen Minuten sind wir an dem Hinweisschild eines Zeltplatzes vorbeigefahren. Als endlich der Zug durchgefahren ist und die Schranke hochgeht, fahren wir weiter. Keine hundert Meter später geht so nah vor uns ein Blitz herunter, dass ich einen Augenblick glaube, wir werden allein vom Druck und Krach des Donners von der Maschine geschleudert. Okay, das ist ein Z e i c h e n, wir kehren um und schlagen das Zelt auf.
Zeichen lesen
In einer meiner All-time-favourite-Filmszenen geht es auch um Zeichen. Diesmal von Gott persönlich gesandt. Aber von unserem Protagonisten nicht erkannt. Bruce (Jim Carrey) hadert auf einer nächtlichen Autofahrt mit seinem Schicksal. Und vor allem mit dem lieben Gott (Morgan Freeman).
Bruce: Okay God. You want me to talk to you? Talk back. What should I do? Give me a signal.
Gott antwortet:
Bruce: Please. Send me a sign.
Gott:
Bruce überholt den Truck mit dem Stoppschild …
… und endet an einem Mast.
Es folgen noch eine ganze Reihe von Zeichen und Hinweisen Gottes, bevor Bruce’ bester Satz kommt: Smite me o mighty smiter.
Was der große Zerschmetterer dann auch tut.
Gelübde
In seinem Buch Der gläserne Horizont über seinen erfolgreichen Versuch, den Everest als erster Mensch im Alleingang zu besteigen, beschreibt Reinhold Messner, wie er beim Aufstieg in eine Gletscherspalte fiel. Mich hat fasziniert zu lesen, mit welcher Zähigkeit er sich aus dieser scheinbar ausweglosen Situation befreit hat. Aber noch mehr hat mich beeindruckt, dass er in der Spalte ein Gelübde abgelegt hat. Er versprach sich oder wem auch immer, nie wieder auf einen Berg zu steigen, falls er lebendig aus der Spalte heraukommen sollte. Als er dann mit viel Glück und Geschick den Rand der Gletscherspalte erreicht, überlegt er nicht lange. Er setzt gleich den Aufstieg fort. »Der Spaltensturz ist wie ausgelöscht in meinem Bewußtsein, das Gelübde abzusteigen weit weg. Ich frage mich, wie ich es schaffe, mich so zu bertrügen«, schreibt er. Ich meine von ihm auch irgendwo die Äußerung gelesen zu haben, dass man Gelübde, die man unter Zwang abgelegt hat, nicht halten muss. Das ist bei mir zu einer Art geflügeltem Wort geworden. Wenn ich mich also mal wieder im Eis einbrechen sehe …
Martin Luther und der Blitz
Martin Luther hat, so sagt man, ebenfalls ein Gelübde abgelegt, als er bei einer Reise in ein starkes Gewitter geraten ist. Es wird überliefert, dass er am 2. Juli 1505 bei Stotternheim auf dem Fussweg von seinem Heimatort Mansfeld zurück zur Uni nach Erfurt vom Luftdruck eines Blitzes zu Boden geschleudert wurde. In seiner Todesangst soll er ausgerufen haben: »Hilf du, Heilige Anna, ich will ein Mönch werden!«
Gegen den Willen und heftigen Widerstand seines Vaters bricht er daraufhin sein Jurastudium ab und tritt vierzehn Tage später in das Schwarze Kloster zu Erfurt ein. Luther hat sich des öfteren über dieses Ereignis geäußert. Z.B. soll er später bekannt haben:»Ich bin nicht gern und nicht aus Eifer ein Mönch geworden, viel weniger des Bauchs wegen, sondern da mich eine Angst und Todesschreck unversehens überfiel, tat ich ein Gelöbnis erzwungen und erdrungen.« Aha, für die einen ist ein erzwungenes Gelübde bindend, für andere nicht? Und ist nicht so ein Gelübde auch ein wunderbares Mittel, seinem Vater einen Sinneswandel zu erläutern? Oder eine Entscheidung zu treffen, vor der man immer zurückgeschreckt ist, sie sich nicht getraut hat, die man sich aber sehnlichst wünscht? Hatte Luther vielleicht die unglaublichsten Gewissensbisse im Kloster, weil er wußte, na ja so dolle war der Blitz auch wieder nicht? Das war eine kleine white lie. Und warum ist ihm als erstes eingefallen, Mönch werden zu wollen? Er hätte sich auch etwas anderes Gottgefälliges ausdenken können. Nein, ich glaube, die Zeichen sind überall, man muss sie erkennen und dann den Weg gehen, den man gehen muss. Messner auf den Everest, Luther ins Kloster, wir auf den Zeltplatz.
Bruce ist dann ja auch noch allmächtig geworden.
2 Comments
Roland
27. Januar 2017 at 11:43Wie tröstlich zu wissen, wie Andere in Notsituationen reagiert haben, in ihrer Verzweiflung sogar Gelübde abgelegt haben …. um sie nachher als ‚erzwungen‘ oder als läßliche Notlügen zu rechtfertigen. So mancher Mensch und fast jeder Extremsportler kommt in Siuationen, wo eine Rettung aussichtslos erscheint und er, gläubig oder nicht in seiner Not Gott – oder eine höhrere Macht – um Rettung anfleht. Wie ich selber weiß, hilft das, doch das weiß man nur von den Überlebenden. Auch ich kam, gleich mehrmals in meinem Leben, in akute Lebensgefahr und durch das Flehen wuchs mir anscheinend die seelische und physische Kraft zu, das (vermeintliche) Verderben zu überstehen, wurde gerettet, oder konnte mich selber retten. Allerdings legte ich dabei kein Gelübde ab, sondern fasste einfach Mut, hatte, obwohl nicht (Kirchen-)gläubig, wuchs in mir ein sogenanntes Gottvertrauen.
Das ist es, meiner Meinung nach, was man mit der Beschäftigung mit Luther, nach 500 Jahren immerhin, noch immer lernen kann. Seinen Weg zu gehen, aber ihn auch zu ändern, wenn er aussichtslos ist. Mut zu haben, auch mal ein Vorhaben (Gelübde) abzubrechen, oder zu verleugnen.
Danke Uwe, für deinen schönen Erlebnisbericht.
Roland
Uwe
27. Januar 2017 at 18:28Hallo Roland, danke dass du hier so offen bist. Genau, Mut zu haben, einen Weg zu gehen wie Luther, kann man nur mit dem (bescheidenen) Vertrauen auf eine höhere Wahrheit. Aber auch, Zeichen zu erkennen, wenn es Zeit ist, nicht auf Biegen und Brechen den eigenen Willen durchzusetzen.
Ich freue mich sehr über deine Kommentare
Uwe