Was hat Luther mit Kunst zu tun?
„Art should comfort the disturbed and disturb the comfortable.“
Goldene Schwingen, weihrauchquellender Dunst, tausendfach gebrochenes Licht, das durch die bleiverglasten Fenster fällt, und Luther, der im Regen die Thesen an die Kirche nagelt.
Zu Zeiten Luthers hatte die katholische Kirche eine Kunst geschaffen, die wie ein Portal in eine andere Welt, dem Gläubigen Eintritt in eine andere Dimension verschaffte. Eine spirituelle Welt, erfüllt von bedrohlich fürsorglichem Glockengeläut. Leise, schleifende Schritte auf den kalten Marmorfliesen, emporgestreckte Arme. Ein Kelch, in dem der Rotwein zittert. Der Kirchgänger war eingeladen, an einem Spektakel teilzunehmen, das nachzuahmen versuchte, wie es sich anfühlen mochte, in Gottes Gegenwart zu sein.
Comfort the disturbed
Noch im Mittelalter galt alles künstlerisches Bestreben einem höheren Ziel, der Sichtbarmachung göttlicher Schönheit. Heilige auf Goldgrund, aus halbem Auge auf den Betrachter hinabspähend. Gebäude, die einem den Kopf in den Nacken legen. Sonne, die durch Glasgestalten leuchtet.
Was für ein Gefühl muss es gewesen sein, in einer dieser Kirchen zu sitzen, durchdröhnt von gewaltigen Orgelklängen, und dem Hall des Priesters zu lauschen, dessen Stimme aus allen Ecken geworfen, genauso gut die Stimme Gottes höchstpersönlich sein konnte. Mit welch hitziger Inbrunst wäre ich die Treppen hinaufgeklettert, hastig flüsternd, im Gemurmel von tausend Stimmen, leise klappernde Rosenkränze um die betenden Hände geschlungen. Und der Vater aus dem Fegefeuer und die Mutter aus dem Fegefeuer und mein Bruder aus dem Fegefeuer und die Seelen meiner Ahnen aus dem Fegefeuer. Aufgeschürfte Knie, ein Sonnenstrahl, der durch die fein verzierten Türme fällt. Aus der Ferne könnten es genauso gut Krallen sein, Zähne, die durch die Strahlen beißen. Doch, es wird sich schon lohnen. Und die Schwester aus dem Fegefeuer.
Und dann kommt einer daher geschlurft, die Schulter fast verrenkt vom Gewicht des Hammers, die Augen zusammengekniffen. Regensträhnen, die auf der Stirn kleben. Hält einen Moment inne, nachdem ihn alles hierhin geschoben hat, ein unsichtbarer Druck, der zwischen den Schulterblättern sitzt. Der Hammer gleitet, er greift nach, und schlägt mit einer schnellen Schelle, die 95 Kritzelthesen an die dunkle Kirchentür.
Dirsturb the comfortable
Ein Wummern, dass selbst Tetzel, kilometerweit entfernt, den Kopf herumdreht. Eine schützende Hand auf dem Kasten.
Ich sehe auf. Der Strom der Worte unterbrochen. War ich beim Vater? Blicke auf die Perlen. Ein Schweißtropfen, der auf die Hände fällt. Wende den Kopf. Hat es niemand sonst gehört? Einer trifft meinen Blick, runzelt die Stirn. Das Murmeln ist aus dem Takt gekommen.
Ob Luther die Thesen angeschlagen hat oder nur verschickt, eine zitterndes Echo wabert durch die Christenheit. Als wäre ihm ein schwerer Wackerstein in den Dorfbrunnen geplumpst. Man sieht nur noch dunkle Rillen, die langsam gegen den Brunnenrand schlagen. Dieser hier hat nichts von der verzierten Schönheit eines bestickten Ornats. Von den ganz hohen Tönen, die einem in den Ohren klingen und Tränen in die Augen drängen. Klingen so die Engel? Das hier ist irgendwie persönlich. Das hier ist irgendwie menschlich.
Und jetzt muss man schon versuchen, sich zum Brunnen durchzuboxen, um sich über die Steinwand zu lehnen und hinabzuspähen. Siehst du, man sieht nur noch dir Rillen, aber der Stein, der sie ausgelöst hat, der wurde von Luther geschmissen.
Ein Einzelner, der ohne Auftrag kommt.
Genau wie der Künstler selbst, rückt Luther ins Gesichtsfeld. Ein Einzelner, der ohne Auftrag kommt. Mit einer wuchtigen Klarheit und Überlegungen, die zu sperrig sind für Reliquiengefäße.
Neue Ideen sind im Umlauf. Eine neue Kunst im Anlauf. Eine, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt.
Und ohne den Glauben zu verlieren, tut Luther das Gleiche. Richtet den Blick auf sich. Und der Kopf kracht aus dem Nacken und landet auf den eigenen Fingern. „Wenn du gute Werke sehen willst, musst du schauen auf die Person.“ Und durch die Haut hindurch, die man sich übergeworfen hat. Ob es ein goldverzierter Mantel oder eine Kutte ist. Was ist hinter den Augen, ob sie auf den Himmel oder die Erde gerichtet sind. Was ist unter den Worten, die man vor dem Einschlafen murmelt, was ist hinter dem Gitter, in das man seine Sünden flüstert.
Die geistige Erfahrung hat einen Riss bekommen, durch das Licht einströmt. Wohin soll man sich wenden, wenn das Blendwerk so hell leuchtet, dass es einem durch die Netzhaut brennt. An Gott, sagt Luther. Für ihn gibt es keine Zwischenlösung.
Wir streichen den Mittelsmann
Die Thesen an der Kirchentür sind eine geistige Installation, die es geschafft hat, die Zeit zu überdauern. Kann man ein Werk im Nachhinein als Kunst bezeichnen? Muss es als Kunst gedacht sein, um als Kunst zu gelten? All die Fragen, die wir uns heute stellen, wurden eingeleitet, als der Künstler aufgehört hat, sich als Handlanger zu verstehen. Als Kunst persönlich wurde.
Es ist kein Wunder, dass alles so schön zusammenpasst, die Überlegungen zum Glauben, mit denen zur Kunst. Wir streichen den Mittelsmann, hat Luther verkündet. Und der Künstler blickt in sein eigenes Gesicht.
3 Comments
Roland
3. März 2017 at 00:59Eine wunderbare, bei mir unter die Haut gehende Betrachtung, die wohl jeden Kunstfreund begeistert.
Allein das statement „Art should comfort the disturbed and disturb the comfortable.“ erklärt was Luther, was geistige Erneuerung für einen Aufruhr entfacht, was das für die Kunst bedeutet.
Bis dahin war im Christentum Kunst käuflich gewesen. Nur die immer reicher werdende Kirche bot den Künstlern Möglichkeiten zur Darstellung – und welche auch! In erhabenen, himmel-strebenden, geweihten architektonischen Höchstleistungen Wände, Säulen, Decken zu verzieren, riesige biblische Bildnisse anzumalen, Engel, Heilige, Maria selbst Gott gemalt, verkörpert in unzähligen Heiligen Statuen . Man wird fast blind wenn man in den heute noch erhaltenen Kirchen, besonders in Italien sich einfindet um zu staunen.
Ja, ich gebe es zu, auch ich bin überwältigt , heute noch, wenn ich aus Kunstinteresse mich auf meinen unzähligen Touren durch Italien nach Griechenland zur Rast in Kirchen niederlasse.
Diese weih-rauchgeschwängerte Luft, die wenigen Alten Gebete murmelnd, ja auch Liebespaare in den Nischen, ein eilig davonhuschender Priester. Ab und an einige Akkorde der Orgel, weil der Organist übt. Alles eingerahmt, überwölbt von schönen Freskos… hier verliert man sich und es findet die erste Hälfte der Aussage statt, was Kunst bewirken kann:
Art should comfort the disturbed …
Dann gehe ich, auf unerklärliche Weise seelisch erleichtert, ja beschwingt hinaus in den licht überströmten Tag, in den lauten Trubel südländischer Lebensfreude und erfahre nun den zweiten Teil ….. wie meine gerade noch komfortable Stimmung durch die Kunst, gestört wird durch die (anscheinende) Lebenskunst der Menschen.
Luther hat das Blendwerk durchschaut, ihm ging es nicht um Verzierung, Verherrlichung sondern um eine Wahrheit, nicht um die Kirche, sondern um den Glauben. Sein Beitrag zur Kunst war umwälzend, sie kam vom Himmel wieder auf die Erde zurück, wurde realistisch und auch teilweise bitter – eben wie das ärmliche Leben im Mittelalter auch war.
Man blickt in sein eigenes Gesicht, schreibst Du, Isabel, so treffend. Das ist auch mein Verständnis von jeglicher Kunst: Es bringt mir, wenn ich mich genügende damit befasse, Erkenntnis. Macht sichtbar.
Insofern hängt das auch mit den 95 Thesen Luthers zusammen, egal ob an das Kirchenportal angeschlagen oder verschickt. Das änderte die Kirchenwelt, ja die ganze europäische Welt.
Es ist wieder – wie immer ein wunderbar geschriebener Beitrag zum aktuellen, aber nicht leichten Thema Luther. Es gefällt mir sehr gut, wie dabei die verschiedenen Aspekte dieses genialen Menschen beleuchtet werden – ich bin begeistert und danke Dir besonders für Deine mitreißende Sprache …. Beim Lesen deiner Schilderung was für ein Gefühl es damals in der Kirche gewesen sein muss… Vater aus dem Fegefeuer, Mutter aus dem Fegefeuer…. da war Gänsehaut pur bei mir!
Das spricht für Deine Schreibkunst. Das ist schön. Genau wie bei Deiner Mutter.
Herzlichen Dank, dass ihr diese Reihe fortführt.
Roland
Isabel
30. Mai 2017 at 13:34Hi Roland! Hier verspätet ein herzlicher Dank für deinen tollen Kommentar! Deine anregenden Texte ergeben ja schon selbst ein interessantes und farbenprächtiges Mosaik zum Thema Luther und ich finde es immer großartig sie zu lesen! Danke für diese Bereicherung!
Liebe Grüße
Isabel
Uwe
10. März 2017 at 13:31Hallo Roland, Isabel dreht gerade in Hamburg.
Aber ich kann dir sagen, wir freuen uns alle immer wieder über deine Kommentare.
Als wir uns Anfang des Jahres kurzentschlossen gesagt haben, kommt, wir machen was über Luther, wussten wir selbst nicht was dabei herauskommt. Und ich bin auch immer wieder überrascht, welche Aspekte plötzlich in den Vordergrund treten und was an Luther so interessant ist.
Und wie unterschiedlich die Beiträge werden. Vater aus dem Fegefeuer, Mutter aus dem Fegefeuer … du hast recht, das ist schon fast ein Gedicht.
Letztens kam jemand im Cafe auf uns zu und sagte, dass sie immer unsere Lutherbeiträge liest. Leider ohne hier zu kommentieren. Umso schöner ist es, dass du hier deine spannenden persönlichen Erfahrungen teilst.
Liebe Grüße
Uwe