Martin Luther 2017

Martin Luther #20 Meditation

18. Mai 2017

Für Martin Luther war die Welt noch in Ordnung. Böser Satz. Angesichts seiner persönlichen Anfechtungen und der gesellschaftlichen Umbrüche. Ich meine, die Existenz Gottes, die Existenz des Teufels, die Sündhaftigkeit des Menschen, ein Leben nach dem Tod, das Jüngste Gericht, die Gnadenbedürftigkeit des Menschen. Wenn ich das richtig sehe, standen diese Überzeugungen nicht nur für Luther, sondern für fast alle „christlich sozialisierten“ Menschen seiner Zeit außer Frage. Die Ängste und Nöte, die aus der Existenz von Sünde, Teufel und Höllenstrafen entstanden, können wir kaum nachvollziehen. Um den vermeintlich Strafen zu entgehen, gab es ein System von Beichte, Buße und natürlich dann auch Ablass.

Aber sicher sein, ob alles gut gehen würde, konnte man sich nie. Vor allem Luther hat offensichtlich trotz der intensivsten Bemühungen, die Klosterregeln, Bußübungen etc. einzuhalten, ständig in dem Bewusstsein gelebt: Du reichst nicht.

Ich finde es sehr schwer, sich in die Mentalität Luthers oder seiner Mitmenschen zu versetzen. Aber vielen von uns dürfte ein zumindest immer mal wieder auftauchendes Du reichst nicht bekannt vorkommen. Im Extremfall rauscht ein ständiger negativer innerer Dialog im Hintergrund. Wenn der Kopf immer wieder die gleichen negativen Gedanken, Gedankenmuster und Glaubenssätze in einer Endlosschleife wiederholt und so Stress, Sorgen, Angst verstärkt.

Im Gegensatz zu Luthers Zeiten beziehen sich diese Ängste in den meisten Fällen sicher nicht auf Höllenstrafen im Jenseits. Nicht die Rechtfertigung vor Gott ist das Problem, sondern die Rechtfertigung vor sich selbst. Es geht um die großen Leitbilder der Zeit, um Autonomie, Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Und zwar im Hier und Jetzt.

Und da kommt immer häufiger Meditation ins Spiel. Abbau von Stress und die Förderung von körperlicher und mentaler Gesundheit sind sicher eine häufige Motivation zu meditieren. Hirnforsche haben mittlerweile nachgewiesen, dass schon relativ kurze regelmäßige Meditationsübungen positiven Einfluss auf Gehirnstrukturen haben.

Meditation

Meditation

Allein 59145 Menschen meditieren jetzt gerade, um 9:33 mitteleuropäischer Sommerzeit, mit der genialen Headspace-App von Andy Puddiecombe. Wenn in ein paar Stunden New York und dann noch die Spiristädte an der Westküste aufwachen, werden es vermutlich noch ein paar mehr sein. Ein schöner, auch kommerzieller Erfolg für die App-Entwickler.

Jeder meditiert für sich und trotzdem in dem großartigen Gefühl, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein. Andy wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, sich die Intention zur Meditation vor Augen zu stellen. Und die positiven Auswirkungen, die sie nicht nur für den Meditierenden selbst, sondern auch für dessen Umfeld, Umwelt und Mitmenschen haben wird.

Böse Zungen könnten behaupten, der Wunsch nach „spirituellem Wachstum“ sei nur eine weitere Form der Selbstoptimierung.  Aber vielen Menschen geht es auch darum, über die Anforderungen und Unzulänglichkeiten unserer naturwissenschaftlich-technische durchökonomisierten Welt hinaus, einen Sinn im Leben zu finden.

Der innere Weg

Auf der Suche nach spirituellem Wachstum schlagen viele Menschen den individuellen oder angeleiteten Weg über Meditation ein. Wenn man sich wirklich darauf einlässt, ist Meditation eben nicht nur Wellness. Man wird auch an die dunklen, unangenehmen Orte geführt. Die „Gespenster“, wie es Luther, lange vor der Erfindung der Psychologie und Psychoanalyse, genannt hätte, tauchen zuweilen auf. Aber auch neue Wahrnehmungen, Erkenntnisse und Erlebnisse. Martin Luther, der Mann des Wortes, soll täglich mehrere Stunden meditiert haben.

Dennoch klingt mir seine Verurteilung dieses spiritualistischen Schwärmertums wesentlich nachhaltiger in den Ohren. Luther hat das hierarchische Gebäude der katholischen Kirche zwar erschüttert. Und die Mittler zwischen Gott und dem einzelnen Menschen ausgeschaltet. Aber dafür die Bibel dazwischengeschaltet. Dadurch bleibt er natürlich, und in der Zeit verständlich, verhaftet in einem mythologischen Weltbild. Die christliche Mythologie, wie sie in der Bibel überliefert ist, ist für ihn Leitbild, Richtschnur und Grenze. Damit ist vom Einzelnen wieder ein kollektiver Glauben gefordert, den er richtig oder eben falsch ausüben kann. Entweder du glaubst genau das, was dort steht und so wie ich es erkläre, oder du gehörst nicht dazu. So hat er die Schwärmer Karlstadt, Zwingli und die anderen falschen Brüder ausgegrenzt und ein neues dogmatisches Glaubensgebäude errichtet. Sein Festhalten an dieser mythologischen Bewußtseinsstufe ist verständlich und soll seine Leistungen nicht schmälern. Heute haben wir unseren Planeten nicht nur vom Mond, sondern sogar vom Rand unseres Sonnensystems aus fotografiert. Wir sind in einem globalen Bewusstsein mehrere Schritte über das mythisch-wörtliche Weltbild hinaus. Vielleicht ist erst heute die Zeit, in der jeder einzelne seine eigene individuelle Glaubenserfahrung machen kann. Jeder einzelne für sich in dem Bewusstsein einer globalen Gemeinschaft.

 

 

 

 

 

 

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