Am Ende gescheitert
Trotz des riesigen Erfolgs, den Luther mit seinem Reformationsprojekt hatte, ist ihm letztlich etwas passiert, das er nicht vorausgesehen und gewollt hat. Man könnte sagen, er ist grandios gescheitert.
Statt einer reformierten katholischen Kirche, ist eine neue Konfession entstanden. Natürlich hat sich auch die katholische Papstkirche unter dem Druck der Reformation ein Stück gewandelt, aber Luther hat es nicht geschafft, eine einheitliche große christliche Kirche zu schaffen. Ganz im Gegenteil. Es entstanden nicht nur zwei Kirchen, sondern etliche. Die katholische Kirche war nur noch eine, wenn auch gut aufgestellte Kirche unter vielen. Neben den unterschiedlichen Ausrichtungen der reformierten Konfessionen, hielt und hält der Papst bis heute nur noch als einer unter vielen den Anspruch auf unfehlbare, alleinseligmachende Glaubensätze aufrecht.
Und einer unter den vielen war jetzt eben auch Luther. In seinem Wahrheitsanspruch stand er dem Papst nicht nach. Er wettert und agiert im Laufe der Reformation ja nicht nur gegen den Papst, in dem er den Antichristen sieht, sondern immer heftiger auch gegen alle abweichenden protestantischen Lehren. Seine unerschütterlich, mutige und feste Haltung, ohne die er nie und nimmer diese Lawine an Veränderungen hätte lostreten können, hindert ihn am Ende, tolerant mit parallelen Glaubensäußerungen umzugehen.
Es gab nicht mehr die eine heilsversprechende große christliche Kirche, sondern den 30jährigen Krieg.
Blinder Glaube oder individuelle Erfahrung
Mich wundert immer wieder, wie aus dem suchenden Jurastudenten, der dann Mönch wurde und in seiner Zelle weitergesucht hat, der gnadenlose Luther werden konnte, der sich im Besitz der universalen Glaubenswahrheit wähnte.
Gerade Luther hatte seinen gnädigen Gott doch durch ein inneres, existenzielles Ringen gefunden. Er hatte am eigenen Leib erfahren, welche Anstrengungen, Zweifel, Gebete, Meditationen dazu nötig waren. Er hat sich diesen Glauben, diese Erkenntnis nicht ausgedacht, sondern erfahren, zweifelnd in seiner Mönchszelle, betend auf den Knien der heiligen Treppe in Rom,über der Bibel meditierend in seinem Turmzimmer. Das waren mystische Erfahrungen und Erkenntnisse. Die sind immer individuell. Und sie sind wie die Anfänge der Reformation institutionskritisch, schon deswegen, weil man sie nicht verordnen kann.
Wie konnte Luther also glauben, dass er diese Erfahrung durch Worte und Predigten weitergeben konnte. Nicht das Ringen hat er den Menschen nahegelegt, sondern wollte sie gleich vom Ergebnis überzeugen. Er hat nicht versucht, ihnen den Weg zu zeigen, wie man diese Erfahrung machen kann. Er hat nicht versucht, sie meditieren, beten, suchen zu lehren. Stattdessen hat er versucht, ihnen die Erfahrung selbst beizubringen. So, als könne man glauben lernen.
Woran lag das?
Ich glaube, weil er eben die katholische Kirche reformieren wollte, eine einheitliche universale Kirche wollte. Er konnte sich letztlich keine Kirche und keine Gesellschaft vorstellen, in der jeder zu seinem eigenen individuellen Glauben kommen kann. Und er wusste nicht, oder konnte nicht glauben, dass alle, die sich auf einen mystischen, meditativen Weg machen, zu ganz ähnlichen Erfahrungen kommen. Im Gegenteil er hat geglaubt, dass es ohne das äußere Wort, die Bibel, die Predigt keine Orientierung gäbe. Blindes Verderben statt Toleranz und Pluralismus.
Und er wusste aus eigener Erfahrung, dass meditieren, suchen, beten nicht immer eine Wellnessretreat ist.
In meinen Augen hat sich Luther seiner mystischen Erfahrungen, durch dass meditative Lesen und Wiederlesen der Bibel vergewissert. Im legendären Turmerlebnis endlich die Gewissheit eines gnädigen Gottes erfahren. In der Bibel finde ich es wieder, also muss es richtig sein. Ich sage euch jetzt, wie man es interpretieren muss, und ihr braucht es dann nur noch zu glauben.
Luther war ein Mystiker in einem mythologischen Zeitalter.
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