Musik oder the drum is everything
Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem Leben, so um Zwanzig. Ich wohnte sehr mönchisch in einer winzigen 1-Zimmer-Wohnung im Süden von Berlin und studierte Kunstgeschichte und Theologie. Was Lebensphasen angeht bin ich sehr strikt, was vorbei ist, ist vorbei und in diesem Zuge fand ich es sinnvoll, mich von ein paar Spielsachen zu trennen, die nicht mehr in mein Leben passten oder zu der vorherigen, sehr viel wilderen Phase gehörten. Mein Motorcross-Motorrad zum Beispiel und mein Schlagzeug.
Damals, in einer Zeit (noch fast) ohne Internet und Handys, verkaufte man Dinge in Berlin ganz einfach über die 2. Hand. Eine dicke, wöchentlich erscheinende Zeitung mit Kleinanzeigen (okay, das kommt mir jetzt auch so weit weg wie das 16. Jahrhundert vor …). Also habe ich das Schlagzeug dort annonciert und mich dann wieder an meinen Schreibtisch begeben und Latein und Griechisch und Hebräisch gelernt. Bis der Anruf kam. Festnetz versteht sich. Ein aufgeregter, junger Typ, im Hintergrund Kneipengeräusche.
„Ich will das Schlagzeug. Ist es noch da? Ich kauf es. Ich brauch es heute. Kann ich es abholen?“
„Äh …“
( Es war Winter, es war spät, ich wohnte am Ende der damaligen Berliner Welt und was war mit … um den Preis handeln?)
„Ich habe einen Gitarristen getroffen, wir müssen heute proben.“
Okay. Da war sie. Die KUNST. Die Leidenschaft eines echten Musikers, der sein Schlagzeug verkaufen musste, weil er das Geld brauchte. Und dann an einem dieser Abende diesen Gitarristen trifft und mit ihm spielen MUSS. So sind Künstler, ich verstand das sofort. (Auch wenn meine Künstlerseele sich zu der Zeit in Enthaltsamkeit übte.)
Theologie und Musik
„Nach der Theologie kann keine Kunst der Musik gleichkommen, weil allein sie neben der Theologie das gewährt, was an anderer Stelle nur die Theologie schafft, nämlich Ruhe und Frieden der Seele.“ (Luther 1530 in einem Brief an den Hofmusiker Ludwig Senfl. Quelle: Schilling)
Okay, Theologie galt als Kunst. Aber Ruhe und Frieden? Das ist nicht gerade das erste, was uns einfällt, wenn wir an Luther denken. Oder an (Rock)Musik. Aber man versteht ja, wie es gemeint ist: Musik tut gut.
Für Luther gehörte sie von Anfang an zum Leben und zur Ausbildung dazu. In der Schulzeit war er Kurrendesänger, was bedeutete, dass er mit anderen Chormitgliedern herumzog und bei Hochzeiten oder Beerdigungen gegen Geld sang. Und später im Studium in Erfurt war Musik Teil des Lehrplans.
„Ich liebe die Musik“
Luther spielte Querflöte und Laute. Eine Laute ist eine Art Gitarre, die den Gesang begleitet und damals etwa die heutige Bedeutung des Klaviers hatte. Die Laute war vielseitig, Solo- oder Orchesterinstrument, wurde zu Hause oder in der Kirche gespielt. Wenn man wie Luther die Kunst des „Absetzen“ beherrschte, also Melodien anderer Instrumente für die Laute umschreiben konnte, dann hatte man Zugang zu allen Musikstücken der Zeit. Im Lutherhaus wurde viel gesungen und musiziert, meist nach dem Abendessen und mehrstimmig.
Musik und Gottesdienst
„Damit das Wort Gottes auch durch Gesang unter den Leuten bleibt.“
Schon sehr früh – ab 1523 – komponierte Luther Lieder für den Gottesdienst. Er wollte den ganzen Ablauf des Gottesdienstes – und die Lieder gehörten dazu – verändern. Sowohl in der Melodie als auch in der Sprache strebte er eine Vereinfachung und mehr Verständlichkeit an. Die Bibel verständlicher machen, den Ablauf und Sinn des Gottesdienst verständlicher machen – das gleiche Ziel.
Ende 1523 teilte Luther Spalatin mit:
Ich habe den Plan… muttersprachliche Psalmen für das Volk zu schaffen, das heißt geistliche Lieder damit das Wort Gottes auch durch Gesang unter den Leuten bleibt. (zitiert nach Schilling, S. 545)
Zwischen 1524 und 29 erschien das erste Wittenberger Gemeindegesangbuch. Schilling nennt es eine Neuerung von ungeheurer Wirkmacht, aber das wissen wir ja, wenn wir gelegentlich mal in die Kirche gehen. It’s all one song – und Luther hat kräftig mitgedichtet und komponiert. Er war nicht unbedingt sehr begabt, kritisieren Musikwissenschaftler. Luther hat das von sich selber nie behauptet. Es ging ihm beim Komponieren auch nicht hauptsächlich um die Kunst, mehr um die Botschaft. Und die musste raus. Aber ich finde, genau diese Haltung schon sehr künstlerisch. Dieses „ich muss“, wie ich überhaupt denke, dass Luther viel mehr Künstler war als man so denkt oder zumindest ich dachte.
Berliner Süden, im Winter anno 1985 oder so
Sie kamen dann gleich zu zweit, der Gitarrist und der Schlagzeuger. Es musste noch die Nacht sein, die Verhandlungen waren für mich sehr einfach, da nicht verhandelt wurde, man MUSSTE spielen, sofort, also das Schlagzeug kaufen. Geld irgendwie zusammengekratzt. Kannte ich auch. Andererseits habe ich die künstlerische Notlage auch nicht ausgenutzt. Fast fiebrig glänzende Augen, hektisches Einpacken. Sie riefen dann noch aus der Stadt an, es fehlte eine Stange, aber ich habe sie nicht mehr gefunden.
Verzicht und Freude
Irgendwie hat mich das aber damals sehr berührt. Dieser Versuch, von der Sache=Kunst loszukommen, vernünftig zu werden, jetzt endlich mal die Musik sein zu lassen und dann – muss es doch wieder sein.
Denn egal, wie klösterlich ich leben wollte, irgendwann kam die Kunst auch bei mir wieder vorbei. Unausweichlich.
Luther hat seine Laute beim Eintritt ins Kloster verkauft. Auch er hat sich die Laute später zurückerobert, für sich erkannt, dass zu viel Frömmigkeit nicht der richtige Weg sein kann – und er Musik einfach braucht. Sie Teil seines Glaubens ist und damit auch Teil seines Lebens sein muss.
„Wer aber nicht davon singen und sagen will, das ist ein zeichen, dass ers nicht gleubet und nicht ins new föliche Testament, Sondern unter das faule, unlustige Testament gehöret. (Schilling, S. 545)
Und wer will das schon :)
Wer sich noch weiter für das Thema Luther & Musik interessiert, kann sich die Podcasts auf NDR2 anhören, in denen einmal im Monat ein Lied von Luther ausführlich vorgestellt wird.
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