Martin Luther und die Craftsbeer Revolution
Ich bin keine Biertrinkerin. Als wir Anfang des Jahres beschlossen, als Dreierteam über Luther zu bloggen, da habe ich mal im Netz nachgesehen, was da sonst noch so ist. Der erste Artikel, auf den ich gestoßen bin, handelte von Luther und Bier. Ich meine – ernsthaft? Gibt es da nicht genug andere Themen? Oder anders gesagt: Müssen wir den Leuten Luther über Bier nahebringen? Dem Lieblingsgetränk der Deutschen? Ist er so unbeliebt, dass wir die Themen dermaßen an der Haaren herbeiziehen müssen, um die Leute für Luther zu interessieren?
38 Blogbeiträge später bin ich sehr viel weiser. Nein, mir gehen nicht die Ideen aus. Vielleicht hat es mich einfach auch nur so lange beschäftigt, was an dem Thema Luther und Bier so interessant sein soll. Ja, er hat gerne Bier getrunken! Ja, er hat viele Trinksprüche über Bier verfasst! Ja, er hat sogar selber Bier gebraut. Und ja, heute habe ich den Hook für diese Story gefunden und sie heißt: Craftsbeer Revolution.
Reinheitsgebot
Das (bayrische) Reinheitsgebot für Bier ist aus dem Jahr 1516 – ein Jahr vor dem Anschlag der Thesen in Wittenberg. Die von Leonhard von Eck verfasste neue Landesordnung wurde am 23. April 1516 durch die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt erlassen. Darin heißt es:
Wo aber einer nicht Märzen sondern anderes Bier brauen oder sonstwie haben würde, soll er es keineswegs höher als um einen Pfennig die Maß ausschenken und verkaufen. Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Fass Bier, so oft es vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden. ( Wikipedia)
Bier war damals kein Genussmittel, sondern ein Getränk. Besser als das nicht ganz saubere Wasser (weil aufgekocht) und viel billiger als Wein (was ein Genussmittel war). Es rein zu halten, hatte viele Gründe. Zum Beispiel regulativ wirtschaftliche oder es ging um die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung: Die Bäcker sollten Roggen und Weizen verwenden, die Bierbrauer bitte nur den beruhigenden Hopfen.
Der Ethnopharmakologe Christian Rätsch sieht im bayerischen Reinheitsgebot auch ein frühes Drogengesetz: Es bestehe der Verdacht, dass vor allem der Gebrauch heidnischer Ritualpflanzen unterdrückt werden sollte. So sind z. B. Bilsenkraut, Sumpfporst, Tollkirschen, Schlafmohn, Muskatnuss oder Wermut als psychoaktive Bierzusätze im mittelalterlichen Deutschland belegt. (Wikipedia)
Jeder hat so seine Gründe – für die Reinheit des Bieres, der Lehre, des Glaubens …
Das Gesetz hielt nicht lange und schon 1551 durfte dem Bier wieder Koriander und Lorbeer beigesetzt werden, ab 1616 waren in Bayern auch Kümmel und Wacholder zugelassen. An was erinnert mich das?
Genau.
Die Craftsbeer Revolution
Ich bin sehr für Revolutionen. Wir Menschen, mich eingeschlossen, tun uns schwer mit Veränderungen. Und wenn sich nichts bewegt, muss man manchmal einfach loslegen. Nicht warten, sondern handeln. Das muss ja nicht immer gleich blutig werden …
Letzten Samstag hat uns Matt von Sweetwood Films, ein befreudeter amerikanischer Dokumentarfilmer, zu der Preview seiner Dokumentation BEER JESUS eingeladen. BEER JESUS erzählt die Geschichte von Greg, einem der erfolgreichsten Craftsbeer Brauer in den USA, der in Berlin die Brauerei und das Restaurant Stone Brewing aufgebaut hat. Letzten Samstag haben sie einjährigen Geburtstag gefeiert und den Film – erstmal nur in kleinem Kreis – gezeigt.
Wir hatten mit unseren VIP-Karten Zugang zu unendlich vielen Craftsbeer-Sorten und der Erkenntnis, dass Bier mehr sein kann, als Gerste und Hopfen und Wasser. Wen das genauer interessiert, hier ein Video zum Craft Beer, der Craftbeer Revolution, denn die Bewegung kam nicht erst mit Greg, sondern ist schon eine Weile in Deutschland angekommen. Craftsbeer-Anhänger haben Hipsterbärte und tragen Karohemden und kämpfen leidenschaftlich gegen Reinheitsgebot und billiges Bier und für ein gutes, handwerklich gemachtes Bier in vielen Geschmacksrichtungen.
Was hat das mit Luther zu tun? Nun, ich sehe da einen ähnlichen Prozess – von einer Reformation zum neuen Glauben. Von einem verwässertere, selbstverständlich gewordenden Abfertigung eines Kults/Ritual (ich nenne Biertrinken jetzt mal Kult) zurück zu einem besonneneren, reflektierteren Umgang mit diesem Brauch. Brauch, Kult, Ritual – klar bin ich hier beim Glauben.
Von einer kleinen Bewegung zu einer neuen Kultur
Denn für Greg, den Beer Jesus, ist Craftsbeer nicht nur ein neues Produkt. Es geht um eine neue Einstellung. Bier ist zu billig, Bier wird industriell hergestellt, man beruft sich auf das Reinheitsgebot, aber eigentlich … achtet keiner mehr auf Qualität. Warum ist Bier so billig? Wie kann das gehen? Warum achten wir nicht auf mehr Qualtität – nicht nur beim Bier, überhaupt in unserem Leben. Sollen wir nicht ein wenig genauer hinsehen? Stimmt, er hat recht. Lieber ein gutes Bier als ein schal gewordenes Reinheitsgebot. Erneuerung des Glaubens! Sein Hausbier heißt übrigens Arrogant Bastard. Jep, so sind die Craftsbrauer.
Luther wäre da wohl sehr dabei gewesen. Nicht nur, weil er 1532 zu seiner Hochzeit das Nutzungsrecht für das frühere Augustinerkloster in Wittenberg geschenkt bekam und damit als Hausbesitzer das Braurecht bekam. Auch weil er für Erneuerung war. Rituale und Gebote hinterfragt hat. Ständig.
Braugeheimnis und Glaubenskämpfe
Wie war denn das normale Bier zu Luthers Zeiten? Nun, da gab es einmal das Alltagsbier, ein Dünnbier und eher wässrig. Wenn man gefeiert hat, dann hat man Einbecker getrunken, angeblich Luthers Lieblingsbier. Die Einbecker in Hamburg hatten ein besonderes Brauverfahren (mit Malz) erfunden, das das Bier haltbarer machte, damit transportfähig wurde und auch kräftiger war. Das Rezept kam aus dem Mittelalter und wurde in Einbeck streng geheim gehalten. 1529 wurde Einbeck protestantisch und das Einbecker Bier für die Katholiken zum Ketzerbier. Und hier eine kurze dramaturgische Pause: Ketzerbier? Echt jetzt? Bier ist wohl doch eine sehr viel ernstere Angelegenheit, als ich dachte.
Nach diesem Einbecker-Geheimrezept wurde übrigens bis 1540 gebraut, bis die Stadt Einbeck niederbrannte. Ironischerweise kam es zu dem Brand da sich die katholischen Patrizer der Stadt in eine Auseinandersetzung mit den eher protestantischen Handwerkern gerieten und an mehren Stellen der Stadt Brände gelegt wurden. Durch den Brand konnte das Einbeck nicht mehr geliefert weden, da die ganze Dokumentation des Brauwesens verloren ging. So war das also mit Luthers Lieblingsbier. Aber er hat zu diesem Zeitpunkt ja schon sein eigenes Starkbier gebraut.
Heute gibt es Lutherbier, Luther auf dem Etikett – und keine Ahnung, wie das passieren konnte. Denn es ist ja nicht so, dass man Luther einfach so von damals nach heute transportieren könnte. Weder sein Bier, noch seine Philosophie oder Glaubenseinstellung.
Tja. Luther, Reformation und Bier hängen wohl doch irgendwie viel mehr zusammen als ich dachte, also: Willkommen in der Craftsbeer Revolution!
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