Als Luther über seinen Schriften brütet, sticht sein einsames Profil vor dem lichtdurchfluteten Fenster scharf hervor. Einer, das Kinn in die Hand gestützt, die Stirn gerunzelt. Blättern. Lesen. Blättern. Trockene Fingerkuppen über dem weichen Pergament. Hin und wieder schließt er die Augen. Der Kopf knetet die Wörter. Walkt die Sätze.
Es ist eine stille, einsame Arbeit. Den Glauben zu formen, der vom Wort ausgeht.
Martin Luther findet in der Schrift seine Befreiung. Und überträgt diese auf seine Leserschaft. Wenn du zum Wort zurückkommen kannst, bist du auf niemanden angewiesen. All die Heiligen und Aberheiligen werden einfach ausgelassen und die Stimme Gottes kann dich direkt erreichen. Du brauchst keine Bilder und kein Spektakel. Es reicht, dass du mit klarem Verstand bei der Sache bis. Und wenn die Nachrichten dir einleuchten, gilt es pragmatisch mit ihnen umzugehen. Demütig, ausdauernd und bodenständig.
Der Glaube Luthers existiert jenseits von goldenen Kruzifixen, Engelsgesang und Götzenbildern. Es ist ein intellektueller Glaube. Fast eine Wissenschaft. Zum ersten Mal können Christen aufatmen, die Last des Katholischen Krempels von ihrer Brust gehoben. Aber fehlt da nicht was?
Die heilige Mutter
In der Katholischen Kirche spielt Maria eine große Rolle. Die heilige Mutter. Eine Königin in eigenem Recht. Die Ikone, mit dem speckigen Jesuskindlein auf dem Schoß. Die Nährende, Schützende, Glücksbringerin. Ein unbeflecktes Mädchen und eine weise Mutter zugleich. In ihr vermischen sich sämtliche Ansprüche an Weiblichkeit. Reinheit, Großzügigkeit, Frömmigkeit, Gehorsam.
Jemand kommt zu dir, schlägt mit den Flügeln und sagt, du sollst ein Kind empfangen ohne einen Mann zu erkennen. Und du nickst und bist froh. Und wenn dein Kind sich einen eigenen Weg durch die Marktgänger bahnt und im Tempel mit den Priestern schwatzt, dann stellst du elegant den Einkaufskorb auf die Tempelschwelle, bekreuzigst dich und sagst mit Nachsicht in der Stimme, „Ach Jesus…hier steckst du also.“ Und wenn er dann zu dir gelaufen kommt und seine warme Hand in deine legt, dann nickst du den Priestern höflich zu und gehst nicht zu schnell und nicht zu langsam deines Wegs, den schwatzenden Jesus an deiner Seite.
Du gibst ihm Proviant mit, wenn er auf Reisen geht, winkst bis der Esel außer Sichtweise ist. Und als das Gewicht deines toten Sohnes auf deinen Schenkeln lastet und sein Kopf in deinen Händen leblos hin und herrollt, könnten deine Tränen Perlen sein, die an einem silbernen Faden aus deinen Augen rollen und kullernd auf deine Kutte kleckern. Und wenn rauskommt, dass der Stein vor seinem Grab beiseite gerollt ist, wunderst du dich nicht im Geringtsen. „Ach Jesus…“ seufzt du leise, während er auf einer Wolke gleißenden Lichts in den Himmel steigt. Und du blinzelst in die helle Ferne und meinst die Wärme auf deinen Wangen spüren zu können, genau wie an dem Tag, an dem du nur kurz an der Lilie schnuppern wolltest.
Marienverehrung
Eine aberwitzige Milde und erschreckende Hingabe geht von Maria aus, eine stille Macht über ihr eigenes Hoheitsgebiet. Für immer diejenige die den Gottessohn geboren hat. Es ist kein Wunder, das Söhne in katholisch geprägten Gegenden ihre Mütter verehren. Wer Maria mit dem Sternenkranz und einem roten Mantel unter dem die ganze Menschheit Platz hat, auf ihrem Sitz in den Wolken thronen sieht, der kann nicht anders als ehrfurchtsvoll zu ihnen aufzublicken, diesen fruchtbaren Gefäßen göttlichen Lebens.
Luthers Maria
Im evangelischen Glauben, nimmt Maria eine weniger romantische Form an. Die Mutter Gottes, ja. Aber keine Heilige. Einfach jemand, den Gott auserkoren hat um sie als Medium zu benutzen. Als Hüterin des Jesuskindes in jungen Jahren und Versinnbildlichung einwandfreier Frömmigkeit.
Luther geht von Christus aus, dem Alleingänger und Sündenlöscher. Er hadert mit Gott, dem strengen Vater. Quält sich durch Fragen des Gehorsams und der Pflicht. Alle Fürsorge und Aufsicht wird Gott zugesprochen, die Erlösung Jesus. Maria spielt eine Nebenrolle.
Aber ohne Heilige kann es ganz schön einsam werden. Ohne Anbetung, langweilig, ohne die Mutter, kalt auf der Welt. Man denkt sich frei, betet sich lose. Aber es gibt niemanden, der hinter dir steht und dich betrachtet, mit liebevollem Blick und einer aufmunternden Geste. Keine, die dir eine warme Hand auf die Schulter legt und stirnrunzelnd auf dein Gekritzel hinab blickt. Und dir sagt, dass sie stolz auf dich ist, auch wenn du dir ziemlich sicher bist, dass sie nicht ein Wort von dem lesen kann, was du geschrieben hast. Deine Auseinandersetzung ist mit Gott. Dem Schulleiter des Glaubens. Nicht mit Maria, einer bloßen Männin.
Männlich und weiblich
Macht die Spärlichkeit von Marias Glanz, die evangelische Kirche zu einer männlichen?
Ist die Katholische Kirche eine Manifestation „typisch“ weiblicher Grundsätze? Die Betonung der Gemeinschaft, die starken Emotionen, das Sinnliche des Gottesdiensts?
Ist es fair, von Maria nur als zufällige Statistin im Leben Christi zu sprechen? Macht es Sinn, sie wie eine Heilige zu verehren? Was ist mit Marias Einfluss auf Jesus? Ein Empath, wenn es es je einen gab. Was hat Maria ihm mitgegeben, als Urbild der Frau? Ist Jesus nicht eine bemerkenswert weiblich angehauchte Persönlickeit, zwischen all den Rittern und Schlächtern?
Die Rollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft sind im stetigen Wandel, in ständiger Erweiterung. Heilige sind die ersten Stars, Vorbilder, nach deren Vollkommenheit es zu streben gilt. Wen wir bewundern, anbeten oder um Hilfe rufen, sagt viel über unsere Einstellung zum Leben aus. Ich bin gespannt, wie die Bilder von Männern und Frauen innerhalb der Kirchen weiter wachsen.
2 Comments
Roland
7. Oktober 2017 at 13:41Hi Isabel,
ich bewundere Dein Talent über das – wohl in allgemeiner (heutiger) young-adult Sicht (siehe fackjugöte) – etwas dröge Thema Luther schreibend – immer wieder eine ( für mich) sehr ansprechende emotionale Stimmung herbei zu rufen.
Es ist schon so, ohne ‚Heilige‘ oder ‚Vorbilder‘ ‚Anbetungswürdige‘ kann es ganz schön einsam werden, kalt in der Welt. Ohne Mutter, (meine starb, da war ich gerade neun Jahre alt, darum weiß ich das besonders) da fehlt nicht nur ein Teil, da fehlt mehr als die Hälfte. Die Sinnlichkeit, die Hinwendung zum Kind, die Aufopferung, die Güte, die Empathie. Das war auch der Grund warum ich immer wieder katholische Kirchen aufsuchte, obwohl ursprünglich evangelisch getauft und später konfessionslos – sicher nicht nur wegen der Marienverehrung. Es war einfach heimeliger, sinnlicher dort, weil nicht nur auf das Wort Gottes reduziert, sondern weil auch Kunst, Architektur, Musik auf einem einwirkte –da fühlte ich mich geborgen. So war das einfach – immer wieder suchte ich auf meinen Reisen in Südeuropa zur Erholung katholische Kirchen auf, wenige Minuten genügten und ich schöpfte neue Kraft.
So wie die Mutter auch das Heim schmückt, den Tisch liebevoll deckt, die Speisen auch für das Auge angenehm serviert – wir merken das wohl erst, wenn wir älter werden, für Kinder ist das eine Selbstverständlichkeit. Und hinter einem tüchtigen (oder erfolgreichen) Mann steht wohl immer auch eine tüchtige, Empathie – fähige Frau, das ist, glaube ich, erwiesen. So sicher auch die Rolle von Maria zu Jesus. Darum finde ich es richtig sie zu verehren – zeitgemäß ohne Brimborium und Kult – stellvertretend für all die Frauen die hinter den meist nur Religions -‚geschichtsträchtigen‘ Männern stehen ‚zwischen all den Rittern und Schlächtern‘ wie du so treffend schreibst.
Schöner, seelenschwingender Beitrag – wie alle Deine Betrachtungen hier – darum lass Dich ruhig dafür loben, das muss auch mal sein.
Liebe Grüße
Roland
Isabel
24. Oktober 2017 at 11:16Hi Roland, oh das finde ich super interessant, deine Überlegungen und Erfahrungen zu und mit Maria. Ich bin, wie immer, inspiriert von deinen Erzählungen! Seelenschwingend, das ist mal ein Wort! Danke für dein Lob, ich freu mich sehr darüber!
Liebe Grüße! Isabel