In dieser Woche hat eine Information für Aufruhr gesorgt: Peter Handke bekommt den Nobelpreis. Und hier möchte ich mich kurz in die Diskussion einmischen. Denn Handkes beobachtendes, autofiktionales Schreiben, hat mir als Schüler in den 70ern den Zugang zur Literatur geöffnet.
Ich bin mit Peter Handke wie mit Neil Young aufgewachsen. Beide habe ich 1972 angefangen zu lesen, zu hören. Von dem einen habe ich fast alle Bücher, von dem anderen fast alle Platten, auch die Schlimmen aus den 80ern. Bei Handke bin ich in den 90ern ausgestiegen nach dem Abschied des Träumers vom Neunten Land.
Lieblingsbücher
Mein Jahr in der Niemandbucht hatte – stellvertretend für Die Wiederholung, Wunschloses Unglück, Die Geschichte des Bleistifts, Langsame Heimkehr, Die Lehre der Sainte-Victoire, Die Versuche über die Müdigkeit, über die Jukebox und vor allem über den geglückten Tag und was noch alles – einen Platz unter den wenigen Büchern, die außerhalb des Regals in einem dreieckigen Zwickelfeld zwischen den abgekofferten Dachbalken in meiner Dachkammer lehnten.
Dort standen von allen Büchern, diejenigen, die meine Wahrnehmung der Welt erweitert haben. Oder vielleicht besser, die mir meine Sicht auf die Welt am besten gezeigt und bewusst gemacht haben, ohne dass ich sie gekannt hätte. Nein, die überhaupt erst durch Sprache eine Welt erschaffen haben, die es (für mich) sonst so gar nicht gegeben hätte. Die Niemandsbucht stand also neben Wolframs Parzival, den Wilhelm Meister Bänden, Josef Winklers Wenn es soweit ist, Thomas Klings Geschmacksverstärker und den Gedichten von Robinson Jeffers. Die Buber/Rosenzweig Übersetzung des Tanach Die Schrift gehört mir nicht, deswegen steht sie unten im Schrank.
Nur eine kleinwinzige Welle?
Der Nobelpreis für Peter Handke hat eine »Welle der Empörung« ausgelöst. Ironischerweise ist Handke – jedenfalls für mich – derjenige, der wie keine anderer auf solche gedankenlose Verwendung von eingeübten Sprachbildern, Redewendungen und Vergleichen aufmerksam gemacht hat. Ein kleinwinziges Haus löst eben ein anderes Bild beim Leser aus, als das leicht zu überlesende winzig kleine Haus. Lässt ein anderes Haus in der Welt entstehen.
Kann man aber querwaldein die Schlafbäume der Vögel bemerken und im nächsten Moment an Massengräbern vorbeisehen? Offensichtlich, wenn der Bewohner des Elfenbeinturms sich aus der Niemandsbucht hinauswagt. Und der Pilznarr dort weiter versucht, eine Welt durch Sprache zu erschaffen, die es nicht gibt. Das ist nicht neu. Neu ist, dass Handke die Welt jetzt nicht mehr durch Sprache erweitert, sondern mit seiner Sprache die grausame Wirklichkeit ausblendet. Die Sprache verliert die Kraft, eine größere, weitere Welt entstehen zu lassen. Im Gegenteil: Sie übertüncht die Welt, mitsamt ihrer Schrecken.
Sich jetzt Handke vorzunehmen, ist voraussehbar und erwartet. Aber auch seltsam. Ist er nicht die ganze Zeit – zumindest auf deutsch – weiter veröffentlicht worden? In den Rezensionen zur Obstdiebin etwa habe ich keine Stimmen vernommen, die auf Handkes Haltung zu den Masskern in Bosnien, zu Milosević eingingen. In allen Zeitungen, werkimmanente Besprechungen. Die Trennung von Autor und Werk, politischer Haltung und literarischer Arbeit wird in diesen Besprechungen nicht thematisiert und damit offensichtlich vorausgesetzt.
Das hat sich durch die Preisvergabe geändert. Und diese Diskussion kann sehr fruchtbar werden.
Kleinwinzig ist es jedenfalls nicht, was da auf Handke zurollt. Könnte es vielleicht sogar ein »Tsunami« sein?
Das wird sich zeigen. Wenn es eine Welle ist, schwappt sie über Handke hinweg, lässt ihn nass zurück, und versickert in der Niemandsbucht. Ist es ein Tsunami wird sehr viel mehr mitgerissen, weggespült werden. Der Literaturnobelpreis selbst, der sich gerade mühsam von einem Vergewaltigungs- und #MeToo Skandal erholt hat. Es ist doch das Komitee, das hier jemanden auszeichnet, der von vielen nicht ausgezeichnet gehört. Müsste die Empörung nicht eigentlich das Komitee treffen?
Aber es könnte es auch viele andere Autoren und Künstler treffen. Es könnte eine große Diskussion auslösen über die Autonomie der Kunst. Es könnte die Frage gestellt werden, was das überhaupt sein soll? Die Autonomie der Kunst.
Aber so weit muss man gar nicht gehen.
Es geht doch vielmehr um die Frage, kann man die Kunst, das einzelne Kunstwerk, oder das Lebenswerk vom Künstler trennen? Lange war die Frage einfach keine. Jetzt überschneidet sie sich zunehmend mit der Frage nach dem Verhältnis von Privat und Öffentlich. Die Trennung von Privat und Öffentlich, das zeigt sich jetzt immer mehr, ist nur eine kurze Episode im menschlichen Zusammenleben. Eine kurze Periode im kurzen bürgerlichen Zeitalter.
Sie galt nicht in feudalen, höfischen Gesellschaften. Und sie erodiert jetzt im Zeitalter des Internets, der sozialen Medien und – wie manche sagen – im neuen kosmischen Bewusstseins der Chrystal- und Rainbow Generations immer mehr.
Ohne Frage ist Kevin Spacey in großartiger Schauspieler. Aber nicht mehr tragbar, nicht mehr anschaubar, wegen seiner »privaten Verfehlungen«. Die Liste ist lang, wird immer länger. Woody Allen, Polanski. Was ist mit Picasso? Nolde? Was mit meinem Helden Giacometti? Wir können die Museen leer räumen. Ein neues ikonoklastisches Zeitalter einläuten.
Wo wollen wir eine Grenze ziehen und vor allem wer soll sie ziehen?
Und geht es hier wirklich nur um das Verhältnis von Kunst und Künstler? Denn ich möchte auch nicht mit einem frauenverachtenden Taxifahrer fahren, auch wenn er noch so kunstvoll durch den Verkehr gleitet.
Und noch einmal Kanusgård
Und was ist mit Knausgård? Den großen Handke Fan und Verleger. Könnte es ihn jetzt auch treffen? Nicht weil er sich etwa mutig gegen den Wind auf Handkes Seite stellt. Nicht weil er etwa – wie Handke – Gräueltaten und Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnen würde, sondern einfach nur, weil er beschreibt, wie er seine Kinder grob behandelt, sie rüttelt und schüttelt, aufs Bett wirft, niederbrüllt, wenn sie ihn beim Schreiben stören. Und das im Text auch noch schlecht bis gar nicht reflektiert.
Will man einen Text lesen, der unter diesen Umständen geschrieben worden ist? Wäre die Welt nicht besser dran, wenn sie 3000 Seiten weniger »Min Kamp« zu lesen bekommen hätte? Und Knausgård stattdessen die Erziehungsmethoden seines Vaters überwunden hätte?
Natürlich will ich hier das Infragestellen oder sogar Leugnen von Kriegsverbrechen nicht gleichsetzen mit antiquierten Erziehungsmethoden.
Ich klage hier auch niemanden an, schon gar nicht Knausgård. Ich stelle hier nur eine Frage, die mich interessiert, zu der ich eine Meinung habe, aber keine Antwort.
Ist es nicht die Aufgabe von die Künstler/Schrifsteller*innen hier neue gangbare Wege zu suchen?
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