Corona hat auch die Buchwelt fest im Griff.
Im letzten Sommer habe ich als Nachzügler mit Genuss die beiden Bestseller Yuval Noah Hararis gelesen. Nicht nur seine Gedankenspiele zu der zukünftigen Entwicklung der Menschen haben mich fasziniert, sondern auch die Chuzpe, mit der er schlichtweg behauptet, Kriege, Hunger und Seuchen seien, wenn nicht besiegt, dann doch unter Kontrolle.
Angesichts der zahlreichen Kriegsherde auf der ganzen Welt, angesichts von 9 Millionen Menschen, die jährlich an Hunger sterben und jetzt angesichts von Corona, scheint diese These nur schwer zu halten.
Eine Chance auf Innehalten
Noch betrifft die Coronakrise hauptsächlich die hoch entwickelten Regionen der Erde. Und sie ist sehr akut und sofort spürbar. Ich hoffe, dass diese Zeit der Krise auch dazu genutzt werden kann, innezuhalten, viele gewohnte Dinge zu überdenken. Sollten wir nicht auch bereit sein, Maßnahmen zu ergreifen, um den Hunger zu bekämpfen, der so weit weg ist von unseren Einkaufszentren, oder menschengemachte Erwärmung der Atmosphäre zu verringern, die uns immer noch so unwirklich vorkommt?
Wir müssen ganz neue Überlegungen anstellen. Und die können Angst machen. Jetzt wünschen sich viele, dass es bald vorbei ist mit der »Krise« und alles wieder so wie vorher. Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass ein paar Gefährten losgehen, den Ring ins Feuer werfen und wir dann wieder Pfeifchen rauchend in unserem Garten sitzen können. Wir sind diesmal vermutlich alle aufgefordert, selbst loszugehen, zu schauen, was wir ändern können, ändern müssen. Und wie wir mit den Änderungen umgehen, die sich jetzt etablieren.
Das ist nicht einfach, denn wir lieben das Gewohnte, auch wenn wir wissen, spüren oder zumindest vermuten, dass es nicht unbedingt gut für uns ist. Über Änderungen nachzudenken, birgt immer die Gefahr, dass beängstigende Gedanken und Vorschläge auftauchen.
Dabei liegt in ihnen gerade die Chance.
Auch für den Buchhandel liegt in der Coronakrise eine Chance.
Und mit Buchhandel meine ich die gesamte Herstellungs- bzw Verwertungskette von Autor, Verlag, Herstellung, Druck, Auslieferung, Vertrieb und Marketing. Ein Ablauf, an den wir uns so sehr gewöhnt haben, dass wir ihn fast für etwas natürlich Gegebenes halten.
Denn diese Verwertungskette hat sich schnell nach der Erfindung des Buchdrucks entwickelt. Obwohl sie zunächst fast nur aus zwei Akteuren bestand. Neben dem Autor gab es da zunächst nur einen Betrieb, der alle weiteren Bereiche abdeckte. Das Gießen der Lettern, das Setzen, das Drucken, das Verlegen (das heißt die Kosten für den Buchdruck, nicht etwa für den Autor verauslagen) das Bewerben und den Verkauf. Kosten für den Autor fielen nämlich nicht an. Es war noch für den Bestsellerautor Luther undenkbar, Honorar für seine Bücher zu verlangen. Autoren widmeten ihre Bücher – auch in der Hoffnung auf ein Honorar – Fürsten, Bischöfen oder Städten, oder wurden gleich von fürstlichen Mäzenen unterhalten.
Manchmal kommt es mir so vor, als hätte sich etwas von Verhältnis zum Autor bis heute gehalten. Er hat zwar in der Regel keinen Mäzen mehr, sondern wird mit einem geringen Prozentsatz (8-10%) am Nettoverkaufspreis des Buches beteiligt, dennoch ist der Autor noch immer der kleinste Kostenfaktor in der Buchherstellung.
Der restliche Betrieb hat sich ausgefächert. Das Gießen der Lettern fällt weg. Stattdessen entwickeln Fontschmieden Schriften und stellen sie bereit. Satz, Druck, Verlag, Auslieferer und Buchhandel sind jetzt meist eigenständige Geschäftsbetriebe.
Onlinehandel und E-Book
Dann kam der Onlinehandel und etwas später noch das E-Book dazu. Und jetzt Corona.
Die Buchhandlungen schließen zum großen Teil. Die Verlage melden Notlage, weil Amazon auch nicht mehr bestellt, und schicken ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit. Instagram und die sozialen Medien sind voll mit Hilferufen von Buchhändlern und Solidaritätsaufrufen der Buchcommunity. Und es sprießen viele neue und zum Teil liebevolle und wunderschöne Aktionen im Netz.
Und wie geht es den Autor*innen?
Denen geht es gut. Denn sie sind es gewohnt im Homeoffice zu arbeiten. Sie haben sich von finanzieller Unsicherheit bis jetzt nicht vom Schreiben abhalten lassen und werden es auch jetzt nicht tun. Jedenfalls wird in der Buchcommunity in den sozialen Medien wenig fuss um die aktuelle Situation der Autor*innen gemacht.
Jetzt hat Lena Falkenhagen, Vorsitzende des Verbandes deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller darauf aufmerksam gemacht, dass auch noch eine andere Gruppe unter den Auswirkungen von Corona zu leiden haben könnte. Nämlich die eigentlichen Schöpfer der Literatur, die Autor*innen. Die generieren nämlich oft auf Lesereisen ihr Haupteinkommen. Und die sind natürlich bis auf weiteres alle abgesagt. »Wir werden diese Zäsur in der Kultur noch sehr lange spüren«, prophezeit Falkenhagen in einem Interview mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.
Aber die Zäsur muss ja nicht unbedingt negativ sein. Katrin nimmt ihre Lesungen jetzt auf Video auf. Ohne das Honorar, das sie erhalten hätte, wenn sie wie geplant, angereist wäre und auf der Bühne gelesen hätte. Solche Formate sprießen jetzt aus dem Boden und es ist noch nicht klar, wie man damit auch Einkommen generieren kann. Aber da lassen sich sicher über kurz oder lang Wege finden.
Der Bremer Letteringkünstler und Kreativpilot Sönke Busch hat sich da schon etwas Besonderes und sehr einfaches überlegt. Für seine täglichen Lesungen aus der »Unendlichen Geschichte« geht er mit einem virtuellen Hut rum, in den man per paypal etwas hineinwerfen kann. Ob es sich lohnt?
Die Kompetenz der Buchhändler
Um das noch einmal klarzustellen. Ich mag die kleinen gut geführten Buchhandlungen sehr. Wir haben hier in Potsdam gleich mehrere herausragende Beispiele. Und auch in unserer Nachbarstadt Berlin, gibt es wie man weiß wunderbare Buchhandlungen. Ich schätze an diesen Buchhandlungen aber weniger, dass ich dort Bücher kaufen kann, sondern, dass da Menschen sind, die sich auskennen, die eine Meinung haben, die nicht alles großartig finden, was zwischen zwei Buchdeckeln erscheint. Die eine Filterfunktion haben und sich auch trauen einzunehmen. Die Lesungen veranstalten, Lesekreise, Buchvorstellungen …
Carsten Wist nennt seine Buchhandlung daher nicht ohne Grund Literaturladen.
Nehmen wir die Krise als Chance
Wenn wir uns mal frei machen von den gewohnten Glaubenssätzen, die uns sagen, wie Buchproduktion und Vertrieb funktionieren, wenn wir Angst in Vertrauen verwandeln, könnten wir einmal unvoreingenommen darüber nachdenken, worin wirklich die Kompetenzen und Stärken der Verlage und Buchhändler stecken.
Ad hoc kommen mir z.B. (ungeordnet und unvollständig) folgende Fragen in den Sinn:
- Ist die Kernkompetenz des Buchhandels wirklich das Verkaufen von Büchern?
- Ist es nicht eher die Filterfunktion, die sie ohne Verkaufsabsichten noch besser erfüllen könnten?
- Und wie könnte man aus Beratungskompetenz, (Podcast, Lesekreis, Newsletter …) Einnahmen generieren?
- Wie könnte man aus Buchhandlungen Literaturläden machen und Geld damit verdienen?
- Ich liebe schön gemachte Bücher, aber ist ein Festhalten am gedruckten Buch (wirtschaftlich und ökologisch) vertretbar?
- Wie könnten gut gemachte E-Books aussehen?
- Könnten sich Verlage nicht vielmehr auf ihre Kompetenz als Qualitätsfilter konzentrieren?
- Ist eine der Kernkompetenzen eines Verlags nicht, Aufmerksamkeit auf Bücher zu lenken, die sie für wertvoll halten?
- Könnten sie diese Aufgaben nicht viel besser und günstiger wahrnehmen, wenn sie die Herstellung, Druckkosten etc zugunsten von E-Books reduzieren würden?
- Sind Handelsvertreter, Vertreterkonferenzen, gedruckte Verlagsvorschauen, die Konzentration auf Spitzentitel noch zeitgemäß?
- Weitaus mehr als die Hälfte des Verkaufserlöses bleibt im Handel, ohne dass der sich eine goldenen Nase verdienen würde. Ist Verteilung an den Kosten und am Erlös des Buchs vertretbar?
- Unter welchen Bedingungen können die Erlöse zugunsten der Autor*innen umverteilt werden?
- Wie müsste der Ausbau von Tolino und genialokal aussehen, um sie zu einer echten Alternative zu Amazon zu machen?
- Warum soll ich ein Buch erst in den Buchladen bestellen und es da abholen, statt es direkt durch Libri, Umbreit oder KNV nach Hause liefern zu lassen?
- E-Books kann ich innerhalb weniger Minuten kaufen und lesen. Ist da eine Übernachtauslieferung gedruckter Bücher an Buchhandlungen wirklich vom Kunden gefragt und sinnvoll?
Wenn wir keine Angst vor Veränderungen haben, ist es gut möglich, dass wir frisch, mit neuen Ideen, guten Texten und wirtschaftlichem Erfolg aus dieser Krise hervorgehen.
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