Wann warst du das letzte Mal in kompletter Finsternis? Einer Dunkelheit, die so schwarz ist, wie eine weit geöffnete Pupille. In der man eine Weile stehen muss, bevor sich sachte Schemen abzeichnen. Einer Dunkelheit, die mehr als ein visueller Reiz ist. Die dich umhüllt, umarmt, in dich eindringt. Als hätte sie ein eigenes Gewicht, das auf deinen Gliedern liegt. Einen Schritt zu tun, wird ein herzklopfendes Unterfangen. Die Handflächen brennen vom Ausstrecken und ins Nichts fassen. Alles fühlt sich verletzlich an. Den Kopf nicht stoßen, wo die Gedanken drin sind. Die Brust schützen, in der das Herz schlägt. Den Schoß, in dem das Leben pocht. Vorsichtig, die Füße voran schieben, gierig ins offene Schwarz blicken.
.
.
Lampen – Licht
Eine Flamme im Öl, eine nackte Glühbirne, ein Stern im Glas. Lampen tauchen in unterschiedlichster Gestalt in Geschichten auf. Aber immer bringen sie Licht ins Dunkel.
Licht wird schon lange mit Bewusstsein gleichgesetzt.
Der Mensch hat sich das Licht zum Untertan gemacht. In eine Lampe gesteckt, die Tag und Nacht leuchten kann. Nie wieder unwissend im Dunkeln stehen. Nie wieder ahnungslos den Mond aufgehen sehen. Und ist im selben Zug zum Lichtknecht geworden. Wenn die Lampen in der Fabrik ununterbrochen leuchten, kann die Arbeit weiter gehen. Wenn die Straßen hell sind, kann es weiter Tag bleiben. Wenn der nächste Lichtschalter nur einen Handgriff entfernt ist, muss ich nie wieder im Dunkeln Angst haben. Wenn ich bewusst genug bin, kann ich die dunkle Ahnung tilgen, die aus der Tiefe aufsteigen will.
In vielen Mythen spielt die erste Trennung von Licht und Dunkelheit eine große Rolle. Traum und Ursprung liegen im Dunkeln, Gedanke und Ziel strahlen hell. Vor allem anderen, wird in der Genesis Geschichte das Licht geschaffen. Und ein Erkenntnisprozess in Gang gebracht. Der Prozess des Lebens, sich selbst zu erkennen. Nach und nach entwickelt der Mensch sich dem Wunsch nach Helligkeit, Einblick, Erkenntnis entgegen.
Je stärker der Wunsch nach Bewusstsein, desto heller wurde die Welt. Wo man vorher noch im Dunkeln saß und sich achselzuckend ins Bett begeben hat, kann man jetzt frech unter der Bettdecke lesen, bis die Sonne wieder aufgeht.
Lichtschalter
In vielerlei Hinsicht muss man sich im zivilisierten Leben vor dem Licht verstecken. Die Jalousien herunterlassen, Schlafbrille auf. Kinder ins Auto, raus aufs Land. Straßenlaterne mit einem Stein auswerfen. Lichtschalter. Im Gegensatz zu Sonnenlicht, können wir Lampenlicht im Griff haben. Bewusstsein in einer kleinen Birne bündeln.
Dabei ist es gar nicht lange her, da war die Nacht der Dunkelheit bestimmt. War das Feuer verglommen, gab es, bis auf das Mondlicht auf der Wiese, kein Licht, das dich am Leben hielt. Heute kann es einem vorkommen, als wäre jeder Schlaf ein kleiner Tod. Lichtlos in der Welt zu sein, ein fast schon unhaltbarer Zustand. Fast jede Nacht tauchen wir, mehr oder weniger willig in eine selbstgemachte Dunkelheit hinein. Lassen uns von ihr empfangen, mit geschlossenen Augen und ruhigem Atem. Aber vor dem Fenster leuchtet die Straßenlaterne.
Wirst du von der Sonne geweckt? Dem ersten zarten Schein, der über den Horizont kriecht? Oder schlägst du um Zwielicht nach dem Wecker, bis dich die Zahlen erneut anblicken.
Licht und Leben geht Hand in Hand. Die Sonne lässt das Korn reifen, spendet Wärme, Energie. Aber was ist mit der Dunkelheit? Dem Mond, der reflektiert. Zum Wachsen braucht es Dunkelheit. Samen wollen in der Erde keimen, geschützt vor Wind und Wetter.
Hat man keine Lampe, zerfällt das Leben in Tag und Nacht, die unberührbar aufeinander folgen.
Zeiten des Konflikts, der Ungewissheit und Überlebenskampfes werden oft als dunkle Zeit beschrieben. Die dunkle Nacht der Seele, Dark night of the soul, heißt der tiefste Punkt der Heldenreise. Wenn die Seele im Dunkeln sitzt, ist vom Mensch nicht mehr viel übrig. Von dort aus, kann man nur noch oben blicken. Der Sonne entgegen.
In Geschichten taucht dann eine Lampe auf, wenn jemandem ein Licht aufgehen soll. Sie ist treuer Begleiter, Waffe oder Wegweiser. Sie kann etwas zu erkennen geben, Signale senden, Schutz bieten. Ein Licht im Fenster. Der Weg zur nächsten Herberge. Helfer in der Dunkelheit. Der tanzende Schein, der ein Gesicht erhellt. Freund oder Feind? Selbst wenn aus der Lampe kein Licht kommt, kommt aus ihr Bewusstsein.
Genie in a bottle
Lampen greifen in den Lauf der Dinge ein. Keine Dunkelheit muss hingenommen werden. Kein Schatten währt ewig. Sie weisen den Weg aus dem hoffnungslosen Unwissen, das jeden Menschen und jeden Charakter bisweilen überrauscht. Wenn man im Dunkel am tiefsten Punkt des Meeres herum schwimmt, zeigt eine Lampe den Weg nach oben. Nach vorne. Weitergehen. Weiterleben. Ein Sonnenaufgang in einem Gegenstand.
No Comments