Lettering Lettering Workshop 2020

#6 Lettering Workshop 2020: gebrochene Großbuchstaben

4. Juni 2020
Beitragsbild Lettering Lukas Horn

Gesichter

Jeder Mensch hat ein Gesicht. Wenn Tiere uns beobachten, fällt es ihnen bestimmt schwer uns Menschen einzeln voneinander zu unterscheiden. Sie sehen erstmal nur: Mensch. Wenn wir Menschen einen anderen Menschen sehen, ist das anders, denke ich. Wir Menschen schauen anderen  genau auf das Gesicht und können bewusst und unbewusst sehr viel daraus lesen. Erkennungsmerkmale, Gefühle und so weiter. 

Schrift oder Font heißt auf Englisch ‘Typeface’. Also die Schrift als ein Gesicht. Und wenn du dir eine russische oder arabische Kalligrafie im Vergleich zu einer europäische Kalligrafie anschaust, siehst du einen verblüffenden Unterschied. Das ist alles Schrift, aber die Ausstrahlung ist deutlich anders.

 

Heute zeige ich die unterschiedlichen Gesichter der gebrochenen Schrift. Dazu gibt es ein paar historische Beispiele, die du dir heute anschaust, um ein Gespür für den nächsten Blogbeitrag zu bekommen. Dort werde ich dir das Spielen mit gebrochenen Großbuchstaben vorstellen. 

(Dieser Blogbeitrag ist Teil der Lettering-Workshop-2020-Reihe – alle Posts findest du unter: #1 · #2 · #3 · #4 · #5)

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Experimentieren

In den letzten Beiträgen hast du mit den Kleinbuchstaben experimentiert. Damit du für die Versalien bereit bist, zeige ich dir ein paar Oldies.

Was macht das Erscheinungsbild einer Schrift am meisten aus – die Groß- oder die Kleinbuchstaben?

Wichtig ist zu verstehen, dass in einem Wort und einem Text, so gut wie immer mehr Klein- (Minuskeln) als Großbuchstaben (Majuskeln oder auch Versalien) vorkommen. Dadurch prägen sie meist mehr das Erscheinungsbild einer Schrift. Und deshalb, denke ich, kannst du mit den Großbuchstaben viel mehr experimentieren und wild sein.

Also: Dann vergleichen wir mal ein paar Klein- und Großbuchstaben miteinander untereinander übereinander.

Die Textur

Als Beispiel eine Textur. Sie wurde früher von Mönchen geschrieben. Sie ist in alten und handgeschriebenen Bibeln zu finden. Die Buchstaben zeichnen sich durch einen klaren Rhythmus aus. Wenn das die Kleinbuchstaben sind, wie könnten die passenden Großbuchstaben aussehen?

 

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Wahrscheinlich auch so strukturiert und vom Rhythmus her ähnlich, oder?

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Jep, genau richtig. Alles folgt einem klaren Bild. Das große F tanzt aus der Reihe und das H und K haben einen interessanten Arm ganz oben. Ähnlich wie beim G, E usw. Und ist dir aufgefallen das keine Rundungen vorkommen? Also ist ja klar wie die Zahlen dazu aussehen müssen: Ohne Rundungen, mit einem ganz klaren Rhythmus. Upsi:

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Lustigerweise sehen sie ganz anders aus. Ich finde sie passen nicht so richtig. Ok, nächstes Beispiel.

Die Rotunda

Wo wir gerade von Rundungen sprechen, diese Schrift hat mehr davon:

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Dadurch wird der strikte Rhythmus vom Beispiel davor gebrochen – mehr Lebendigkeit entsteht. Also wäre meine Schlussfolgerung, dass wie bei der Textur, eine ‚vergrößerte‘ Version dieser Buchstaben entsteht, wenn man die Versalien haben will. Mal schauen:

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Hmm. Stimmt irgendwie, aber wenn du diese Buchstaben einzeln siehst, würdest du eher denken, dass sie zu einer Antiqua (ungebrochenen Schrift) gehören. Die sehen klassisch aus. Außer das S. Es gibt uns mit seiner Brechung in der Mitte einen Anhaltspunkt, dass diese Versalien zu gebrochenen Kleinbuchstaben gehören. Und O und Q lassen es durch ihre leicht gebrochene Außenrundung erahnen. Die Zahlen fehlen noch:

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Sie passen mehr zu den Versalien, als zu den Kleinbuchstaben.

Die gotische Schrift

Diese Schrift ähnelt von den Minuskeln her der Textur. Eckig halt, aber etwas smoother.

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Und verblüffend:

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Die Majuskeln sind auf einmal superrund. Schau die das D, das E, H, M, T an. Aber damit die Rundungen nicht zu präsent sind, gibt es aufrechte Striche, die etwas Definition hineinbringen. Zum Beispiel der Mittelbalken des M, die rechte Seite des U und W. Und das Y ist auf jeden Fall fancy! Die Zahlen:

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Ich finde sie passen zur Schrift. Interessant ist die 2, die eine Schlaufe besitzt, oder die 1, deren Fuß nach unten zeigt.

Schwabacher

Die Schwabacher ist meiner Meinung nach geschmeidiger als die oberen Schriften. Sie kombiniert in ihren Minuskeln Rundung und Eckigkeit auf ein schöne Art und Weise. Schau dir das abgefahrene g, k, das lange s oder das w an!

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Die Großbuchstaben:

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Mal abgesehen davon, dass das H einfach überirdisch aussieht, fällt hier auf, dass zusätzliche Striche auftauchen. Also im C, E, G, L, O, Q zu sehen. Oder das T, mit einem Extraschwung. Sehr schön, gefällt mir.

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Diese Zahlen finde ich sehr passend.

Die Kanzlei

Eine Schrift, auf die ein ganz besonderes Wort zutrifft. Durch ihre Schnörkel (Hmm.) besitzt sie eine hohe Schnörkeldichte. Toll.

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Guck mal wie schön das k und das lange ſ ist. Hier gibt es Schnörkel. Aber um die Schnörkeldichte einzulösen, zeige ich dir die hier:

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Uuuuh yes. Das A ist auf jeden Fall ordentlich. Interessant ist auch das kleine Köpfchen vom E. Insgesamt hat die Kanzleischrift eine tolle Dynamik.

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Und ich finde die Zahlen passen gut zu den Buchstaben.

Was zeigt uns das? Gebrochene Großbuchstaben sind vielfältig!

Wie ich oben schon erwähnt habe, sind Kleinbuchstaben präsenter im Text und Wort, als die Versalien. Dadurch werden sie auch ähnlicher gestaltet. Innerhalb der Kleinbuchstaben gilt das selbe: Buchstaben die weniger oft im Text vorkommen (wie im Deutschen der Buchstabe y) können auch ein wenig fancy sein.

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Hier siehst du wie sich das a relativ ähnelt.

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Die Versalien geben hier eine neue Richtung an. Mal sind sie einfach gezeichnet, mal aufwendiger:

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Und im nächsten Beitrag werde ich dir dann ein neues Tutorial dazu machen.

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Bis dahin kannst du dir diese Vorlagen zum Schreiben von gebrochener Schrift, genauer anschauen. Und wenn du Lust hast, übst du diese Schriftarten.

(Vorlagen stammen aus dem Buch ‚Die Schrift im Malerhandwerk‘ von Walter Schenk)

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  • Reply
    Godess-of-Gouda
    8. Juni 2020 at 15:16

    Höchst interessant, wie immer. Vielen Dank!
    Aus welchem Buch/Sammelband sind denn die Vorlagen hier?

    • Reply
      Lukas Horn
      8. Juni 2020 at 15:49

      Hey, danke und schön das du fragst! Hatte ganz vergessen es anzugeben. Die Schriften sind aus dem Buch ‚Die Schrift im Malerhandwerk‘ von Walter Schenk. Das Buch ist so um 1950 rausgekommen. Kann ich auf jeden Fall empfehlen und das gibt es im Internet schon ab ca. 15 Euro.

      • Reply
        Godess-of-Gouda
        10. Juni 2020 at 16:56

        Danke für die Info Lukas. Hab es schon für einen guten Preis in gutem Zustand gefunden und erwarte jetzt sehnsüchtigst die Ankunft der Sendung :)
        Sagmal, fällt dir zu diesem Blatt eine Vorlage ein? https://i.redd.it/bjdcr6a8yr351.jpg
        Ein solches „a“ ist mir bisher nicht untergekommen.

        • Reply
          Lukas Horn
          10. Juni 2020 at 20:41

          Top, in dem Buch was du dir bestellt hast sind gute Schriftmuster und gute Tips. Und es ist interessant gebunden.

          Das Schriftbeispiel von Reddit ist, soweit ich das beurteilen kann, die Linotext (um 1901) von Morris Fuller Benton. Von dem hast du garantiert schon viele Fonts gesehen und benutzt. Er hat nicht nur gebrochene Schriften gestaltet, sondern war in ganz unterschiedlichen Gattungen unterwegs.

          Die Schrift ist unter anderem im Buch ‚Fraktur‘ von Albert Kapr, oder im Heft ‚Celtic and Medieval Alphabetes‘ von Dan X. Solo abgebildet (in dem sie aber unter falschem Namen aufgeführt ist, weil zu der Zeit ganz viele Schriften kopiert und geklaut wurden – und dann einfach unter anderem Namen vermarktet wurden – sneaky). Oder du googelst Linotext :)

          • Godess-of-Gouda
            11. Juni 2020 at 17:26

            Wow! Hätte nicht gedacht, dass dir zu dem Beispiel was einfällt. Hut ab und vielen Dank!
            Ich denke, dass du Recht hast. Der Schreiber hat sich vermutlich allmählich weiter von der Vorlage entfernt. Wäre nachvollziehbar – die Linotext ist ja eine Druckschrift mit ein paar Details die wohl nervig oder schwer zu schreiben sind, wie eben beim „a“ oder auch beim „y“.
            Interessant. Mir gefällt die relative Schlampigkeit des Schriftbeispiels, der geringe Kontrast und dass manche Minuskeln Lücken aufweisen.

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