Künstler ohne Werk ist ein autofiktionales Work in Progress, aus dem ich an jedem zweiten Mittwoch hier Ausschnitte veröffentliche.
Viele dieser Shorts stehen in Zusammenhang mit meiner künstlerischen Arbeit, die zu der Zeit entstanden ist, von der der jeweilige Text handelt.
#6 Teerpunk
— 1981
Aus dem Röhrenverstärker dröhnt Won’t get fooled again. Who’s the Punk now? Die gipsverschmierte Single, ist die einzige Platte, die im Atelier der Akademie noch läuft. Ich biege Stahlstangen. Schweiße Armaturen für hockende, sitzende, liegende Figuren. Punks. Nach fünf Jahren Akademie bin ich wieder bei figürlichen Arbeiten. Endlich. Wieder am Anfang. Schweißen. Brennen. Hitze. Teer. Das beste Material, um zu zeigen, was ich zeigen will. Roughness. Blackness. Energy. So sitzen sie in der Fabrik vor der Räumung, so sitzen sie vor dem Ratinger Hof. So sitzen wir vor den Häusern. Nichts. Aber bereit.
Und ich such mir ein Atelier in einem besetzten Haus. Probiere die schwarze Lederjacke vom toten Opa an. An ihm war sie so Ruhrgebiet, mit aufgesprühten „A“ und hochgeschlagenem Kragen ist sie was anderes. Ich probiere vor dem Spiegel. Kann ich mich so raustrauen? Es sieht so fremd aus, so hart. Ich trage sie die nächsten Jahre lang. Immer.
— pssaufdschuf.
Juni 1981 Bo Fabrik
Der beste Freund geht nicht mit, holt nicht seinen Schlafsack, ist nicht dabei. Wir hatten doch nächtelang diskutiert, wir wollen doch die Welt nicht so hinnehmen.
— Was ist mit dir? Wir wollen doch etwas verändern.
— Aber nicht jetzt. Nicht so.
— Okay. weißt du was der Bürgermeister sagt?
— Was sagt er?
— Ein autonomes Zentrum wäre ein dauernder Hort der Unruhe. Unkontrollierte Treffen junger Leute … sind wenig dienlich.
— Ja, und die werden euch das auch nicht überlassen. Da können die Scherben noch so oft spielen. Und Peymann noch so viel Theater machen. Die werden das Ding abreissen. Und überhaupt wozu brauchst du ein autonomes Zentrum. Du hast doch die Akademie. Ihr könnt doch da machen, was ihr wollt. Elefanten im Fahrstuhl. Hallo?
— Okay, dann geh ich allein.
Trotz des Sommers wird es im dunkeln kalt. Wir haben Strom verlegt. Aber es gibt wenig Licht. Ich zeichne. Es wir gekocht. Es gibt Bier, Rotwein. Ich zeichne, wie sie da liegen. An der Wand lehnen. Auf dem Boden sitzen. Den Ellenbogen aufgestützt. Viele in Lila, in Wolle, in Strickzeug, aber die meisten in schwarz, in Leder, in Kapuzen. Aufgestützt liegen sie im Kreis, manche, zusammen. Lehnen an der Wand. Sitzen auf dem Boden, ich zeichne.
Plenum. An die fünfzig Leute.
— Sie werden bald kommen.
— Keine Gewalt.
— Okay, keine Gewalt, unterhaken, wegtragen lassen. Jeder, wie er sich traut, aber keine Gewalt.
Die ersten schlafen. Einer spielt Gitarre. Was soll das sein? Hannes Wader?
— Die werden heute Nacht kommen.
— Keine Gewalt. Okay. Aber wir müssen es ihnen nicht so leicht machen.
Wir schweißen die Stahltore zur Haupthalle zu. Eine glatte Naht rundherum.
Blaulicht, Rufe, da draußen sind Unterstützer. Wieviel Uhr ist es? Es dämmert schon. Kurz vor vier. Wir sind wach. Jemand kocht Kaffee. Ich bin nervös. Habe Schiss. Fühle mich allein.
Sie sind da. Megafon. Kommandos. Einige antworten mit singen. »Was soll’n wir trinken sieben Tage lang« Ich habe es noch nie verstanden.
Ich stopfe meine Blöcke und die Stifte in den Jutebeutel, und den Jutebeutel in den BW-Schlafsack, damit ich alles beieinander habe, wenn die erst reinkommen.
Sie sind schon im Gebäude, hämmern jetzt an die Stahltür. Haben die da echt nicht mit gerechnet? Sie brüllen sich selbst Kommandos zu. Meinen uns nicht mehr. Der Kaffee tut gut. Aber ich muss auch pinkeln. Scheiße.
Insgeheim weiß ich, dass ich gar nichts verändern will. Aber der Gedanke ist so insgeheim, dass ich ihn nicht denke. Insgeheim will ich etwas erleben. Es ist doch gar nicht so anders, wie in anderen leerstehenden Fabriken, in die wir gestiegen sind. In denen das Wasser stand und in denen es hallte. In denen aufgebrochenen Spinde mit verblichenen PinUps gruselig waren. Und das Gefährlichste war, dass vielleicht, man wusste es nicht, vielleicht irgendwo ein Hund hinterm Zaun rumlief — und seinen Job machte.
Alles andere war stillgelegt, die übrig gebliebenen Schilder »Vorsicht Lebensgefahr – Absturzstelle«, »Nicht in die Schüttung greifen« waren genauso stillgelegt, wie das ganze Gelände. Das einzige Schild das für uns galt, hing an allen Zäunen, über die oder durch die man musste. Das gelbe Schild, das den Eltern die Haftung für ihre Kinder zusagte.
Okay, das ist jetzt anders. Und anders ist auch, dass wir hier nicht heimlich sind, ein bisschen rumstromern und wieder gehen. Sondern viele, für alle zu sehen und dableiben wollen. Einige jedenfalls.
Jetzt versuchen sie es mit dem Vorschlaghammer. Oder einer Feuerwehraxt. »Gehörschutz tragen« Dann geht ein Trennjäger los. Flext die Schweißnaht auf. Funken fliegen in die Halle. Das dauert. Jetzt sind sie zu zweit. Einer macht die Senkrechten, einer die waagerechten Nähte. Höllenlärm. Kann man das so sagen? Höllenlärm? Höllenangst. Keiner singt mehr. Sie haben die Naht auf, drücken gegen die Tür. Aber die Querbalken halten. Geben nur wenig nach und sie kommen mit ihrer Flex nicht an sie ran. Okay, jetzt flexen sie ein Loch in das Türblatt. Schieben eine Kettensäge durch. Trennen die Balken. Jetzt sind sie drin. Rot. Wütend. Die ersten kriegen aufs Maul. Ich bin nicht dabei. Wir haken uns unter. Ich habe meinen Schlafsack verloren. Die Zeichnungen. Scheiße.
Ich kriege nicht viel ab, werde an den Beinen rausgetragen, hänge zwischen den Bullen. Okay, okay. Ich würde jetzt auch gehen. In der Wanne sitzen schon ein paar andere.
Wir sind zu dritt in einer Zelle. Ohne Gitter, ein kleines Fenster in der Tür.
Ich muss immer noch pinkeln und habe Schiss. Vor allem als sie uns einzeln rausholen. Die Gürtel wegnehmen, die Schuhriemen. Und ich in einer Einzelzelle lande. Die haben echt noch Gitter. Wie in Laramie. Ich warte. Beruhige mich, grinse vor mich hin, als mir auffällt, dass ich wieder so eine Türskulptur gemacht habe. Diesmal nicht genagelt, sondern geschweißt. Und die Balken lagen genau auf der richtigen Höhe, wie die Papierstreifen, damals im Gang der Akademie. Da wo sie am meisten stören.
Vielleicht sollte ich das zu meinem Markenzeichen machen. Der Künstler, der Türen zuschweißt. Aus seinen Ausstellungen ist noch keiner wieder rausgekommen. Oder nicht rein. Verpacken ist out. Zuschweißen — das ist es.
Aber die Gitter hier sind auch nicht schlecht. Nicht ganz so poetisch, wie unsere wehenden Klopapierstreifen. Aber effizienter.
Das war erst der Anfang. Wie ist es dazu gekommen? Warum bin ich in die Fabrik gegangen, warum später in die Häuser. Ich meine, in die besetzten Häuser. Und warum die anderen nicht? Wovor hatten sie Angst? Und vor allem wovor hatte ich Angst?
Endlich holen sie mich raus, nehmen die Personalien auf, Fingerabdrücke. Und ich darf endlich pissen, aber nicht raus. Wieder in eine Zelle, zwanzig Leute. Draußen hören wir Randale. Nach ein paar Stunden sind wir alle draußen. Einer nach dem anderen wird grölend empfangen.
Wir demonstrieren zur Halle, aber die gibt’s nicht mehr. Ist wegplaniert in den wenigen Stunden. Auch keine schlechte Plastik. Amorphisierung fester Strukturen. Hut ab ihr Baggerfahrer.
Meinen Schlafsack finde ich in einem Container.
Die Zeichnungen werden Teerskulpturen. Liegende, Sitzende, Hockende.
Wenn die erst aufstehen.
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