Das magische Objekt - Dinge in Geschichten

#11 – Der Sattel

7. Oktober 2020
Das magische Objekt - Dinge in Geschichten #11 Der Sattel

Das magische Objekt Dinge in Geschichten #11 -Der Sattel

 

 

Ein Sattel kann ein Kissen sein, mit steifem Leder festgezurrt. Silberbesetzt mit großen Türkisen, Trotteln, Zotteln, bunt bestickte Decke. Ledersattel, Dressursattel, Fahrradsattel.

Du musst kein Cowboy sein, um manchmal in deinem Leben an einen Punkt zu kommen, an dem es keinen anderen Weg gibt, als hinauszureiten.

 

 

Anspornen

Wilder Himmel, wilde Sterne. Dein Haus hängt schief, in den Angeln quietscht die Tür. Der Brunnen trocken, die Ernte vom Vorjahr verschimmelt. Hinter jedem Busch lauert fade Ödnis. Nur hinter dem Horizont blinkt ein Silberstreif. Eine kaum fühlbare Wintersonne kämpft sich über den Äquator. Der Atem vor den Nüstern wolkt. Im Augenwinkel schiefe Kreuze, matt gegen den blaugrauen Himmel. Der Spaten steckt noch. Brauchst du nicht mitzunehmen. Wo du hinreitest, musst du leicht sein. Nicht im Schnee einsinken, unter den Kiefern ducken. Festgefrorener Boden klopft von unten an. Wind zieht durch den Schlitz zwischen Kragen und Halstuch, den Hut in die Stirn, Jacke festgezogen. Echte Wärme nur zwischen den Schenkeln. Langsamer Tritt, warmes Schnauben. Das Geschirr klirrt leise. Die Finger steif gefroren.

Absitzen

Wenn es Nacht wird, ist der Rand der Satteldecke kristallbesetzt, die Flanken voller Schneeflocken. Harte Klumpen am Schweif. Die Arme lassen sich nur mühsam heben. Unter dem Sattel Restwärme. Hände auflegen. Dann hinunter hieven. Dumpfer Fall im kniehohen Schnee. Kleine Mulde machen. Feuer. Heiße Tränen im Augenwinkel bevor die erste Flamme züngelt. Dann die Beine angezogen. Misery.

Vielleicht stupst es dich sanft am Oberarm. Vielleicht steht es selbst mit müden Augen und blickt in die Dunkelheit hinter den Bäumen. Kiefern knacken. War das ein Geräusch? Oder nur der Wind, der zwischen den Wolken pfeift. Wölfe heulen in der Ferne. Schneeschlamm durch die Stiefel, durch die selbst gestrickten Socken. Löchriges Gedächtnis. Wann hab ich das letzte Mal gegessen. Die Kraft fehlt, um ein Wiesel zu jagen. Vielleicht tappt eins in die halbzerstreute Falle. Wenn der Stein groß genug ist. Konzentrier dich.

Anhalten

Halb verrutscht, ein Fuß aus dem Bügel, Zügel fliegen schlaff. Seitenstechen. Schwarzes Flimmern an den Rändern. Die dünne Linie unter den Wolken verschwimmt zu einer Schräge, die Welt neigt sich dem Rand zu. Wimperflackern, dann lässt auch der Schenkel locker. Bevor der Sand die Wange streift, bist du im Dunkeln angekommen. Riemen schlingt sich um den Knöchel. Es hält nicht an, bis die Witterung verflogen ist.

Kleine nackte Kinder. Hände tätscheln dein Pferd am Hals. Deine Schlagader puckert, die Lippen krustig. Warme Augen über der Hutkrempe. Tonkrüge werden herangetragen. Aufgeregte Stimmen. Kühle Hand auf der heißen Stirn. Hier hin und dorthin. Ihre Hände zeigen und zeigen. An der Schürze abwischen. Die Kinder schicken. Einer entfesselt deinen Knöchel. Die Strohmatratze fühlt sich fremd unter deinem Rücken an. Fliegengewicht. Die Knie spitz. Trotzdem dankbar. Zwischen hitzigen Visionen einen Schluck Wasser eingeflößt bekommen. Leises Flüstern über dem Knistern des Feuers. Du kannst dein Pferd nicht sehen, das im Stall schnaubt. Schiebst die Haare aus der Stirn. Will er, das ich gehe? Fremde Augen, Löffel zum Mund gehoben. Ein Stuhl wird quietschend angerückt. Wo kommst du her, Fremder. Du hast dich selbst vergessen.

Aufbrechen

Vielleicht erinnerst du dich an Seidenbänder, die im Sommerwind fliegen. Kornblumen am Feldrand. Flammen zwischen den Strohballen. Heiseres Husten. Wasser im Eimer. Schwielige Hände. Vielleicht erinnerst du dich an zarte Haut, Lachen über der Schleife. Einen Karren, mit dem man in die Stadt rumpeln kann. Stolze Flicken auf der Weste. Kette zwischen den Fingern. Schmutziges Tuch über den Lippen. Nase atmet schnell. Hand in die Tasche. Warmes Blut. Streifschuss. Muttermal. Vielleicht.

Alles im Zeitraffer. Fetzen tragen verschmierte Worte weg, Haare wirbeln, Hände streichen, Korn wiegt sich und erstarrt, Blüten frieren ab, hohle Nüsse rollen über den staubigen Boden. Durch die Scheiben sieht man hinaus in eine trübe Welt. Dann fällt der letzte Becher, die Teigschüssel ist gesprungen. Lippen aufgebissen. Lappen fallen lassen, abtreten. Zügel vom Nagel, Flinte, Messer. Die Tür kann offen stehen. Der Stuhl abgerückt. Deine Fußabdrücke vor dem Fenster. Kein Blick zurück. Nur einer. Heimlich. Dann starrt dir die Ferne entgegen. Die Augen zu Schlitzen. Angesport.

Ankommen

Irgendwann sind die Meilen abgelaufen. Die Worte ausgeschwitzt. Willst nicht weiter zur Last fallen, auch wenn die kleine Kuhle wo die Kinder gerne sitzen, um dir kullernde Geschichten zu erzählen, gerne gesehen ist. Kleines Lächeln zwischen dem Teig kneten. Maisfladen, leichtes Bier. Du kannst sitzen, kannst lesen. Große Augen, bei deinem fremden Akzent. Blick zu Mama. Sie nickt. Dann aufstehen. Weiche Knie. Platz am Tisch. Nur einen Schritt von der Tür entfernt. Blauer Dunst über den Bergen. Ziehen in der Brust. Du sieht dein Pferd grasen. Frühlingsblumen. Wann sind die gekommen. Ohren zucken, als hätte es deinen Blick gehört.

Feuer im Rücken. Wärme drückt dich über die Schwelle. Hand im Kreuz. Flüchtig die Wange streifen. Herzklopfen. Finger drücken. Schmale Arme um deine Taille. Tiefbraunes Strahlen, Zahnlücke. Wenn ich wiederkomme, kannst du lesen. Wenn. Verfliegt im klaren Kopf.

Das du den Sattel selbst heben kannst, heißt, dass du gehen darfst. Bohnen im Bauch. Starken schwarzen Kaffee. Die Wolken bäumen sich freundlich auf. Hals geklopft. Angelegt. Stiefel in den Bügel. Kurzer Schwindel. Dann gleiten die Schenkel in die ausgerittene Form. Zuhause. Angekommen.

Home away from home

Die Braut wird in den Sattel gehoben, Schatzkisten rumpeln hinterher. Zwei Schafe trotten blökend ihrem Schicksal entgegen. Tränen unter dem Schleier, klingelnder Armreif. Die Hände fassen fest den Sattelknauf. Nur nicht herunter schaukeln. Jetzt heißt es gerade sitzen.

Ob mit aufgespanntem Sonnenschirm im Damensitz zum Polo reiten oder mit wildem Blick und Schweiß im Nacken in die kühle Schlucht galoppieren. Sättel geben Halt in einer sich stetig bewegenden Welt.

Ob hoch zu Ross oder halb verhungert. Auf dem Hof, auf dem Weg oder auf der Flucht. Ein Sattel ist ein Zuhause auf dem Weg. Home away from home. Von hier aus kannst du dein Leben in eine neue Richtung lenken. 

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