Künstler ohne Werk ist ein autofiktionales Work in Progress, aus dem ich an jedem zweiten Mittwoch hier Ausschnitte veröffentliche.
Viele dieser Shorts stehen in Zusammenhang mit meiner künstlerischen Arbeit, die zu der Zeit entstanden ist, von der der jeweilige Text handelt.
#35 Dämonen
— 2021
Seit Tagen schwärme ich jedem, der mir nahe genug kommt, von meiner neuen Handke Lektüre vor. Mein Tag im anderen Land, heißt das Buch. Eine Dämonengeschichte wird im Untertitel angekündigt. Was gefällt mir an dem Text, den ich übrigens nicht in einem Rutsch am Nachmittag gelesen habe, sondern in kleinen Häppchen über fast eine Woche verteilt, immer wieder zurückblätternd, viele Stellen mehrmals lesend. Das Lesebändchen also gar nicht so lächerlich überflüssig, wie es angesichts dieses schmalen Büchleins von 93 Seiten auf den ersten Blick scheint?
Schon der erste Satz macht neugierig. »In meinem Leben gibt es eine Geschichte, die ich noch keinem Menschen erzählt habe.« Wie da gibt es noch eine Geschichte? Hatte Handke uns nicht schon alles erzählt? Aber es geht natürlich nicht um Handke, sondern um einen ehemaligen Obstgärtner und Schriftsteller, der die Geschichte erzählt.
Ich bin mit Handkes Büchern aufgewachsen, er ist einer meiner literarischen Helden. Ich habe fast alle seiner Bücher, auch gerade die zum »Neunten Land« gelesen. Ja, ich bin einer seiner »Leser«. Ich habe mich über den Nobelpreis gefreut, weil seine Sprache mir einen neue Welt, eine neue Sicht auf die Welt geöffnet hat.
Auch hier gefällt mir die lapidare Art, wie Handke das Absurde erzählt. Es mit großer Selbstverständlichkeit in den Alltag holt. In seinen letzten Büchern, spätestens seit Morawischen Nacht, hat er das in meinen Augen noch meisterhafter entwickelt, mit ungeheurer Beobachtungsgabe, und neuerdings auch, wie ich finde mit einer Portion Humor und Selbstironie.
Jetzt also eine Geschichte, eine noch nie erzählte Geschichte, die der Erzähler in großen Teilen nur vom Hörensagen kennt, in der er hauste als ein soziopathischer Mensch »besessen nicht allein von einem, sondern von mehreren, vielen, gar unzähligen Dämonen« in der hintersten Ecke des längst aufgelassenen und halb verwilderten Friedhofs der Gemeinde. Der Ausgangspunkt seiner Streifzüge ins ganze Land (es ist ein kleines Land), auf denen er die Bewohner in Schmähreden beschimpft, ihnen als Orakel dient, mit den Tieren redet und mit Engelstimme singt.
Vom Hörensagen könnte man diese Geschichte auch aus der Bibel kennen, in der es bei Markus 5 heißt: »Und als er (Jesus) aus dem Boot trat, lief ihm alsbald von den Gräbern her ein Mensch entgegen mit einem unreinen Geist, der hatte seine Wohnung in den Grabhöhlen …« Besessen von von unzähligen Dämonen. Als Jesus den unreinen Geist fragt, wie er heiße, antwortet der Dämon »Legion heiße ich; denn wir sind viele.« Der Besessene wird natürlich geheilt.
Auch der ausser sich umherstreifende Erzähler wird geheilt. Auch er an einem See, von einem »Guten Zuschauer«. Und auch er, wie sein biblischer Vorgänger mit dem Auftrag loszuziehen »und dort drüben wirst du erzählen und den Leuten (…) weitergeben, was dir geschehen ist.«
Mir gefällt diese Parallele der beiden Heilsgeschichten. Und natürlich lässt sich Handkes Dämonengeschichte auch wieder als ein autofiktionaler Text lesen. Wir Leser erkennen sein mitten in der Welt stehendes Ausgegrenztsein, sich ausgrenzen.
Faszinierend auch Handkes Reflektionen über das Schreiben selbst. Denn erst beim Erzählen, beim Schreiben merkt der – nun nicht mehr besessene – Erzähler, dass ihm Wissen zufliegt, dass Erinnerung entsteht, allein durch das »Faktum, daß ich endlich ans Aufschreiben dieser Geschichte gegangen bin«. Erinnerung schreibend entstehen zu lassen, oder schreibend dabei zuzusehen, wie sich Erinnerung bildet, halte ich für eines der spannendsten Effekte des (autofktionalen) Schreibens.
Mir gefällt wie der Schriftsteller vom Akt des Schreiben berichtet, vom »kommen lassen« der »entsprechenden Worte«. Vom kommen lassen woher? Er bemerkt, wie sich »ein die Worte akzentuierender Rhythmus einstellt«. Wie von selbst?
Das sind Überlegungen, Erfahrungen und Fragen, die mir selbst immer wieder im künstlerischen Prozess begegnen.
Gibt es also wirklich so etwas, wie einen künstlerischen Blick auf die Welt, so wie es einen wissenschaftlichen, oder gläubig religiösen oder spirituellen Blick gibt. Gibt es wirklich so etwas wie die Dreinichteinigkeit vom Schönen, Wahren und Guten?
Aus Geschichte und Gegenwart wissen wir, dass wir auf Probleme stoßen, wenn wir versuchen mit den Mitteln der einen Weltsicht, die Fragen der anderen zu klären.
Wie kann es also sein, … dass dieser Peter Handke, der, ob man es mag oder nicht, ungemein reflektierte und ästhetische Bücher, in einer wunderbaren Sprache geschrieben hat, dabei um jedes Wort ringend – ringend? – die Handkefrage taucht sofort auf, ist das nicht eine der abgedroschen Floskeln, die es zu vermeiden gilt? Um etwas ringen. Um ein Wort, ein Adjektiv, den richtigen Vergleich, Satzrhythmus. Nein, wir hatten ja gerade gehört »es stellt sich ein« während der künstlerischen Arbeit, wie kann es also sein …, dass so jemand, dem man wie Handke eine künstlerische Weltsicht zugestehen muss, wie kann Handke … der Sprachkünstler, der die Pilze beim Namen kennt, die Schlafbäume der Vögel unterscheiden kann, der die feinsten Nuancen der Maultrommel beschreiben kann, dem die andersgelbe Farbe der Nudelnester im fremden Land auffällt, wie kann der zulassen …, dass eine dermaßen beschissene … das Wort fliegt mir gerade zu … Skulptur … von ihm gemacht wird? Ein Denkmal, echt jetzt?
Ja, es ist ein Denkmal, und es gibt zu denken. Als Skulptur wie ein aufgeblasener 3D-Druck aus dem Kaugummiautomaten. Wie kann Handke sich daneben stellen während der Enthüllung? Wenn er nichts, aber auch gar nichts wüßte von Srebenica, oder meinetwegen nichts dazu sagen will, würde man doch wenigstens erwarten, dass er diese Skulptur sehen kann, einfach nur mit den Augen, nicht mit dem Verstand. Er müsste doch erkennen können, dass ihr jeder künstlerische, ästhetische Wert abgeht. Vom Anpruch gar nicht zu reden. Er müsste doch sehen mit seinen geschärften Augen, das jemand, der so eine Skulptur in Auftrag gibt, den Bereich des Ästhetischen verlassen hat. Unter ästhetischen Gesichtspunkten können nur Banausen oder von Dämonen besessene Idioten eine solch idiotische Skulptur fabrizieren lassen. Dass es Banausen sind, scheint außer Frage, aber auch von Dämonen befallene Idioten? Von Dämonen befallen vielleicht, aber Idioten? Sind es nicht eher reaktionäre Hinterwäldler, genauso wie derjenige, der sich durch eine derartige Skulptur darstellen lässt. Das ist so traurig. Viele werden sagen, das ist nur konsequent, das ist Handkes Haltung seit jeher. Ich frage, ach du Scheiße. Wie kann das sein?
Und ich bin seltsam überrascht von mir, etwas befremdet und gebe zu, auch peinlich berührt, dass mich nach allen politischen Ausrutschern des Künstler Handke, ausgerechnet dieses Denkmal, diese senile Freude über so einen reaktionären Unsinn, derart erschüttert, dass mein Handkebild gerade zerspringt.
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