Autofiktionales Schreiben
Howdy! Heute beginnt eine neue Blogreihe zumThema autofiktionales Schreiben. Sie wird dir die Zeit überbrücken, bis es neue Podcastfolgen gibt und widmet sich einem Buch-Thema, das gerade extrem angesagt ist: Autofiktionales Schreiben. Es ist eine Sonderform des biografischen Schreiben und zum Teil schon von Uwe in seiner Blogreihe Autobiografisches Schreiben vorgestellt worden. Autofiktionales und Biografisches Schreiben hängen eng zusammen. Oder – sind vielleicht etwas ganz anders? Das werden wir in dieser Blogreihe herausfinden, in der wir euch Autor:innen und Bücher vorstellen. Und gleichzeitig zeigen wir dir, was du beim Schreiben von Autofiktion beachten darfst. Dafür wechseln Uwe und ich (Katrin) uns jede Woche ab. Ich beginne mit der Einleitung, den Überblick und – ich liebe das. Dann, wenn ich mich einem Thema zum ersten Mal nähere und einfach extrem neugierig bin.
Und wenn du mich kennst, weißtdu, dass ich gerne mit einer ganz nüchternen Definition anfange:
Autofiktion bezeichnet in der Literaturwissenschaft einen „Text, in dem eine Figur, die eindeutig als der Autor erkennbar ist […], in einer offensichtlich […] als fiktional gekennzeichneten Erzählung auftritt“. Der Begriff geht auf den französischen Schriftsteller und Kritiker Serge Doubrovsky zurück, der Autofiktion als „Fiktion strikt realer Ereignisse und Fakten“ definierte.[QUELLE]
Und, ja, ich habe einen Fehler bei Wikipedia gefunden, denn dort steht „strikt“ statt streng, und was (ich habe recherchiert) einfach ein Typo ist. Das Zitat stammt jedoch tatsächlich von dem französische Schriftsteller Doubrowsky. Es steht auf dem Klappentext seines 1977 veröffentlichten Buchs „Fils“, dt. Sohn.
Autofiktion – Wo kommt der Begriff her?
Die Informationen bei Wikipedia auf den Ursprung sind etwas mager, daher werde ich mal etwas näher herangehen. Ich hole mir professionelle Hilfe von Jutta Wiese, die über das fiktionales Schreiben einen Essay geschrieben hat und in diesem Fall auch über das Buch „Fils“.
„Gegenstand des Romans ist ein Tag aus dem Leben des Literaturprofessors ,Serge Doubrovsky‘, beginnend mit der Erinnerung an einen nächtlichen Traum gefolgt von der Fahrt zum Psychoanalytiker durch die Straßen New Yorks, der Analyse-Sitzung, in der der Traum gedeutet wird, und schließlich einer Seminarsitzung über Racines Phèdre an der New York University. Wie in der Autobiographie weisen alle erzählten Ereignisse programmatisch einen authentischen Bezug zum Leben des Autors auf und sind von diesem sogar noch einmal peinlich genau auf ihre faktische Richtigkeit überprüft worden.“ (Jutta Weiser)
Das Zitat stammt aus dem Buch: „Faktuales und fiktionales Erzählen / „Fiktion streng realer Ereignisse und Fakten“ – Tendenzen der literarischen Autofiktion von Fils (1977) bis Hoppe (2012)“. Keine Sorge – du brauchst es nicht zu lesen, das werden wir für dich tun und die wichtigsten Punkte zusammenfassen.
Ich teile hier auch gleich die drei Podcastfolgen Autofiktion 1, Autofiktion 2, und Autofiktion 3 mit Uwe und Heino. Diese sind übrigens unter unseren erfolgreichsten Podcastfolgen. Also falls ihr edu ganz entspannt in das Thema hineingehören willst …
In dieser Blogreihe und auch in den Podcasts geht um Texte und Autor:innen, die sich in ihrem Text selbst zur Hauptprotagonist:in erklären. Und das auch nach aussen ganz deutlich machen, zum Beispiel, in dem die Hauptperson den gleichen Namen wie die Autor:in trägt. Warum machen Autor:innen das? Was bringt das für die Leser:in, wie steht die Literaturkritik dazu, was hat das für Auswirkungen auf den Text? Unsere Wahrnehmung des Textes? Darum geht es hier in den nächsten Wochen.
Und – ist das vielleicht etwas, was du mal ausprobieren möchtest? Und wie geht das dann?
Biografie – Autobiografie – Autofiktion – Roman
Viele Fragen. Doch in diesem Intro werde ich erst einmal nur eine Frage beantworten: Was ist autofiktionaler Text überhaupt. Und wie unterscheidet er sich von anderen Formen des Schreibens, die ebenfalls „Auto“ im Titel haben oder Biografie. Also den Vorsatz Auto- ( griechisch αὐτ- (aut-) und αὐτο- (auto-) ) kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Ohne fremdes Zutun“. Es wird als Vorsatz/Zusatz verwendet, steht also nicht allein. Und abgesehen von dem schönen Wort Auto (etwas, das ganz von allein fährt und *hüstel*, wir wissen, nicht ganz von allein, hallo Spritpreise und Autofahrer:in) verwenden, den wir auch im Deutschen als Wortbildungselement kennen. Auto-matisch, auto-suggestiv, auto-aggressiv. Und so weiter.
Eine Autobiografie ist demnach eine Biografie, die die Autor:in selbst über sich geschrieben hat. Ohne fremdes Zutun (meist). Und eine Biografie ist die Geschichte eines Lebens über jemanden, die jemand anderes geschrieben hat.
Somit ist Autofiktion eine fiktionale – erfundene – Geschichte, die jemand über sich selbst erzählt und dabei so tut, als wäre es die eigene Geschichte. Hm. Denn jetzt wird es kompliziert. Denn wenn es in der Biografie und der Autobiografie um ein Leben geht, das erzählt wird und uns als wahr und richtig und „so ist es gewesen“ verkauft wird (auch wenn da vielleicht etwas geschönt und verbessert und ausgelassen wurde) so ist bei der Autofiktion irgendwie nicht mehr sicher, was nun echt im Leben der Autor:in passiert ist und was dazu erfunden wurde.
„Ich wäre gerne jemand anderes. An einem Ort mit neuen Menschen und neuem Gesicht. Im Frühling würde ich gerne verschwinden. ich wäre gerne jemand, der diese Gedanken nicht kennt, ich möchte mich gern von mir trennen, singt Hildegard Knef, und für den Fall, dass es mir diesmal gelingt, verspreche ich, dass ich nicht nach mir Suchern werde,
eine Liste der Dinge, auf die ich im Frühling lieber verzichten will:
- meine Medikamente absetzen
- ein Aufenthaltsstipendium annehmen
- auf Verlagssuche gehen
- mich einer Hormontherapie unterziehen“
Aus dem Roman „Frühlingserwachen“ von Isabelle Lehn, Fischer 2019. Uwe hat den Roman übrigens in seiner Blogreihe über das Autobiografische Schreiben in einem ganzen Blogbeitrag behandelt. (siehe hier)
Über sich selbst schreiben
Das Zitat habe ich gewählt, weil es besonders schön illustriert, wie das aussieht, wenn Schriftsteller:innen autofiktional schreiben. Man könnte sagen, dies tun sie sowieso immer, denn alle Gedanken, Ansichten und Lebenserfahrungen fließen ein und damit ist die Autor:in immer im Text. Aber hier wird ein wenig mehr mit dem Leser und der Leserin gespielt. Die Grenze zwischen der realen Isabell Lehn und der, die diese Geschichte schreibt, wird absichtlich verwischt.
Wenn wir lesen „meine Medikamente absetzen“, dann kann das jeder sein. Bei „ein Aufenthaltsstipendium annehmen“, kann es eine Künstlerin, Malerin oder eben eine Schriftstellerin sein. „Auf Verlagssuche gehen“. Okay, nun wissen wir, es geht in dieser Geschichte eindeutig um eine Schriftstellerin. „Mich einer Hormontherapie unterziehen“. Momentmal – denken wir – überlegt die „echte“ Isabelle Lehn etwa, sich einer Hormontherapie zu unterziehen? Wer jetzt anfängt zu googeln, der steckt schon mitten drin in dem Spiel, das die Autorin mit uns treibt.
Und warum macht sie das? Was bringt das? Sollte sie nicht lieber bloggen, wenn sie ihre Bekenntnisse teilen will? Oder eine Autobiografie schreiben? Hm.
In der Kunst und in der Liebe ist alles erlaubt.
Wir nehmen dich mit auf die Reise. In der nächsten Woche fragt sich Uwe, welche Merkmale autofiktionales Schreiben hat. Woran wir diese hybride Autofiktion erkennen können und was es besonders macht.
Wichtig: Die weiteren Beitrage zum autofiktionalen Schreiben findet ihr auf unserem Patreon-Account. (Dafür reicht übrigens die Mitgliedschaft im Erd-Level)
Wie immer
xoxo
Katrin
#schreibtipps #redbugwriting #masterclass*schreiben
No Comments