Rezension

„Carrie Soto is Back“ von Taylor Jenkins Reid

23. September 2022
Carrie Soto is back
Carrie Soto is Back von Taylor Jenkins Reid

Carrie Soto is Back ist Taylor Jenkins Reids neustes Buch. Wie alle ihre Bücher hat es eine starke, aktive und unabhängige Heldin und thematisiert Frauen und deren Power in der Gesellschaft. Gut so! Die Aufmerksamkeit, die Book-TikTok ihr und ihrem Buch „Seven Husbands of Evelyn Hugo“ geschenkt und das Buch in die Sunday Times Bestseller Liste geschleudert hat, bringt ihr auch in Deutschland neue Aufmerksamkeit. Neue Cover, mehr Werbung. Schaut man auf die alten deutschen Cover von Jenkins Reid, ist man im Romance-Universum, doch da hat sie nie wirklich hingehört. 

Trotzdem kann ich das Buch nicht so feiern wie Jenkins Reid andere Bücher. Wie bei Daisy Jones and the Six hat sie ein besonderes Format, eine besondere Konstruktion für das Buch gewählt. Daisy Jones and the Six wirkt – und das ist natürlich Absicht – wie Oral History. Interviews, die uns wie echte transkribierte Interviews erscheinen aber fake sind. Ich liebe so etwas.

Bei Carrie Soto is Back ist es ein ähnlicher Ansatz. Die Geschichte einer Tenniskarriere vom Comeback her erzählt. Anhand von Spielorten und Wettkämpfen, die es gibt, genauso wie einige Tennisspieler:innen, die erwähnt werden. Doch Carrie selbst, ihre Geschichte, ist erfunden. Ebenso die angeblichen Medienberichte, die in das Buch eingestreut sind. Im Filmbereich nennt man so etwas Dokufiction und auch dort ist es gerade sehr angesagt, Fakts und Erfundenes so geschickt zu mixen, dass man nicht mehr weiß – was man glauben soll, kann.

Als Dokufiktion (Kofferwort aus Dokumentation und Fiktion; auch: Docufiction oder Docu-Fiction) bezeichnet man eine fiktive Dokumentation. Die Idee der Dokufiktion basiert neben dem Doku-Drama auf einigen Büchern (After Man, The New Dinosaurs, Man after Man) von Dougal Dixon, welche an erfundenen Tierarten die Grundprinzipien der Evolution aufzeigen. Sie ist aber auch von der Exobiologie und den fiktiven Nachschlagewerken der Rollenspiel-Szene inspiriert. (Quelle)

Geschichte //  Dokumentation
Carrie Soto is back

Screen Shot „Unraveling Athena“.

Tennis ist – ein sehr körperlicher Sport. Und es ist ein Sport, der – abgesehen von Spitzenspielen – sehr langweilig ist, wenn man als Zuschauer zusieht. Doch das Buch kann uns hier nur die Beschreibung liefern. Ein Nachteil. Ich habe offen gestanden bis zum Ende des Buches nicht verstanden, was ich an der Beschreibung eines Tennismatches genießen soll. Kann. Und leider passiert auch nicht viel mehr in Carrie Sotos Leben. Wie im Leben aller Spitzensportler:innen, ist es eine ewige Folge von Trainingsstunden und Wettkämpfen. Dazwischen wird einem Tennis erklärt. Wie das mit den Aufschlägen und Points ist, wie man den Schläger halten muss und wie sich ein Sandplatz von einem Rasenplatz unterscheidet. Das muss einen schon interessieren …

Ich muss dazu sagen, dass ich Sport-Dokumentaionen liebe. Besonders, wenn sie vielschichtig sind, also nicht die alte Geschichte von Sieg und Niederlage erzählen, sondern tiefer in die Psyche der Spieler:innen eindringen. Davon gibt es in letzter Zeit immer mehr. Hier nur zwei Beispiele:

  • Unraveling Athena -Weltklasse-Tennisspielerinnen ihren Aufstieg in einer Männerdomäne. Legenden wie die Williams-Schwestern erzählen davon, wie sie den Weg zum Olymp ihrer Sportart schafften. (Streaming auf Amazon Prime)
  • Untold: Breaking Point – Mardy Fishs psychische Probleme veränderten sein Leben auf und abseits des Tennisplatzes. Nichtsdestotrotz musste er die Siegestradition im US-Tennis fortführen. (Streaming Netflix)

All das, was in diesen Dokus – anschaulich – erzählt/gezeigt wird, fehlt in Jenkins Reid Buch. Zum Beispiel tiefer in die Psyche ihrer Hauptfigur Carrie Soto einzudringen oder sie uns näher zu bringen. Überhaupt eine Ebene zu finden, die über Spiel, Training und Gespräche mit ihrem Trainer/Vater hinausgehen. Auch die Liebesgeschichte wirkt seltsam in die Geschichte eingebaut. Es ist ja auch nicht wirklich etwas Neues, dass der Sport für Frauen schwierig war und ist. Aber auch für Männer. Es geht nicht nur um den Sport, sondern auch um viel Geld. Hierrüber wird in Jenkins Reids Buch wenig geredet, obwohl es ein wichtiger Punkt ist.

Vaterfigur

Viele Rezensenten betonen das tolle Vater-Tochter-Verhältnis, das Jenkins Reid beschreibt. Hm. Ein Vater (oder auch eine Mutter), die ihren Ehrgeiz und das Ende der eigenen Karriere durch das Megatraining eines Kindes kompensiert, ist für mich nicht das, was ich mir unter einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung vorstelle. Hier kann man tatsächlich mehr von der Realität lernen, wenn man Andre Agassis Biografie (Open: Das Selbstporträt) liest. Die komplexen Verstrickungen, die finanziellen Abhängigkeiten, die ein solche Beziehung beinhalten, sind interessant. Nichts davon wird nichts in Jenkins Reid Buch thematisiert, hier wurde für mich ein Thema verschenkt, das dem Buch mehr Tiefe gegeben hätte.

Dramaturgie
Carrie Soto is Back

Screen Shot „Unraveling Athena“

Das erste Kapitel hatte mich. Ich war so aufgeregt, ich wollte das Buch unbedingt lesen. Dann kamen “ Rückblenden“, der Aufstieg zum Tennisstar – ich musste irgendwann Überblättern, denn alles ist schon zu oft gehört, gelesen worden. Und dann das Comeback, das sehr schleppend verlief, weil Jenkins Reid uns alles erzählen wollte. Jeden Schritt, jedes Match. Ihr solltet euch wirklich für Tennis interessieren, wenn ihr das Buch lest.

Eine Realgeschichte hat meist nicht die Dramaturgie, die eine gute Geschichte hat. Die Realität bindet einen an die Fakts. Man dramatisiert Ereignisse, um sie zu erhöhen, ihre Botschaft oder Spannung zu maximieren. Jeder Dokumentarfilm hat das Problem, einen bestimmten Winkel finden zu müssen, der spannend genug ist, um die Geschichte zu erzählen. Manchmal hängt von diesem richtigen Winkel die ganze Geschichte ab.

Sportbiografien sind in der Regel nicht spannend, ausser, es gibt eine besondere dramatische Komponente. Etwas, das herausragt. Wenn Messners Bruder auf einer Expedition stirbt, dann ist das der Winkel der Geschichte. Dieses Drama bringt uns auch Messner näher.

Das Comeback einer Tennisspielerin – nun ja. So ungefähr jeder Tennisspieler:in hat ein Comeback. Borg und Agassi, Graf u.s.w. – sogar Serena Williams. Reicht das für eine dramatische Geschichte? Für mich hat es in diesem Fall nicht gereicht.

Übersetzung

Carrie Soto is back wurde von Babette Schröder übersetzt. Babette Schröder hat auch Jenkins Reid vorherige Bücher übersetzten und sonst überwiegend Genre, amüsante Liebesgeschichten und (heißes) New Adult. Und das merkt man der Übersetzung (leider) an. Im Nachhinein hätte ich das Buch lieber in Englisch gelesen. Den scharfen Verstand, die kurze Sprache, der Edge – wenig davon kommt in der Übersetzung richtig rüber. Vielleicht ist das ja Absicht, der harsche Charakter der Hauptfigur wird so ein wenig seifiger gemacht. Und es trifft die Übersetzerin auch keine Schuld, wenn ihre Stärken auf anderen Gebieten liegen. Der Verlag hätte mit den Coverwechseln vielleicht auch an eine neue Übersetzung denken können. Ich hätte mir eine literarischere Übersetzung gewünscht. Ganz klar zielt Jenkins Reid auf ein breites Publikum, die Sprache ist knapp und einfach, aber eben nicht gewöhnlich.

  • Beispiel erster Satz: My entire life’s work rest on the outcome of this match.
  • Deutsche Übersetzung: Mein gesamtes Lebenswerk hängt vom Ausgang dieses Matches ab.

Vor ein paar Tagen habe ich Jonathan Franzen über seine (noch unveröffentlichte) Übersetzung von „Am kürzeren Ende der Sonnenallee ( Thomas Brussig | ISBN: 9783596148479 ) ins Englische sprechen hören. Nach einem langen Vorrede und Erklärung hat er den ersten Satz seiner Übersetzung (deutsch zu englisch) vorgestellt. Ja, der erste Satz setzt den Ton. Ja, der erste Satz sagt mir, um was für ein Buch es sich handelt. Und ich möchte, dass der erste Satz alles einfängt, was eine Autorin mir zu sagen hat.

Fazit

Ich lese Fiktion nicht, weil mich ein Thema interessiert, sondern aus Lust an der Sprache, der Energie, der Dramaturgie und an der Story. In dieser Hinsicht hat mich das Buch enttäuscht. Ich bleibe Jenkins Reid-Fan, ich freue mich auf neue Bücher, ich widme mich der Backlist – in Englisch. Ich. möchte die Autorin im Blick behalten, auch wenn dieses Buch mich nicht fesseln konnte.

Taylor Jenkins Reid: „Carrie Soto is Back“, Ullstein Taschenbuch; 2. Edition (1. September 2022), Übersetzung Babette Schröder

Digitales Rezensionsexemplar über Netgalley.

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