„Charlie’s Good Tonight“ von Paul Sexton
„Charlie’s Good Tonight“ von Paul Sexton ist genau das, was du suchst, wenn dir an den Fakts gelegen ist und du dir trotzdem einen flüssigen und gut gegliederten Schreibstil wünschst. Und den liefert Paul Sexton, der Autor und Journalist ist. Es steckt viel sorgfältige Recherche in dem Buch, es gibt Gespräche mit Zeitzeugen und vieles, was Sexton selbst mit den Rolling Stones erlebt hat. Und all das wird in einer lockeren Sprache mit spannenden Details erzählt.
„Taktgeber und Seele der Rolling Stones: Die offizielle und autorisierte Biographie über den am meisten bewunderten Drummer der Welt – inklusive Vorworte seiner Bandkollegen Mick Jagger und Keith Richards. “ (Ullstein Verlag)
Bleibt die Frage: Was ist so interessant an Charlie Watts? Dem Mitglied der Rolling Stones, das die meisten noch nicht einmal mit Namen kennen. Selbst im Blurb des Ullstein Verlages heißt es nur mysteriös: „den am meist bewunderten Drummer der Welt“. Und, ja, es ist genau das. Charlie Watts hat es als Mitglied der größten und bekanntesten Rockgruppe der Welt geschafft –
- wenig Aufmerksamkeit auf sich zu zeihen
- dem Presserummel weitgehend auszuweichen
- eine lange Ehe zu führen
- eine Familie zu gründen
- bodenständig zu bleiben
- sich gut zu benehmen
- Freunde zu gewinnen
- unter Kolleg:innen geachtet zu sein
Musiker
Wer jemals in die Nähe des Showbizz gekommen ist, der weiß, wie schwer das ist: Ein Mensch zu bleiben, wenn andere dich zum Gott machen. Und es ist sehr interessant zu lesen, wie Charlie Watts es geschafft hat, sich nicht allzu ernst zu nehmen und trotzdem in der größten Rockband der Welt zu sein, zu bleiben.
„Charlie Watts ist ein Ausnahmefall, ein Menschen von seiner Arbeit komplett losgelöst ist. Die Hysterie, die kreischende Dramatik und der Wahnsinn einer Existenz als Popstar segeln über Charlies kühlen Kopf einfach hinweg. “ (Mike Grant in der Zeitung Rave)
In dieser Biographie geht es erstaunlich wenig um den Star Charlie Watts, sondern vielmehr um den Musiker. Den Bewunderer von Jazzgrößen wie Elvin Jones, Chuck Berry, Chris Barker, Acker Bill und Kenny Ball.
In einem 1966 geführten Interview mit der BBC sagt er:
„Wir verkaufen unsere Musik zurück an amerikanische Jungs, die vermutlich noch nie von den Leuten gehört haben, von denen wir die Hälfte der Sachen kopieren.“ (CGT Position 84)
Noch erstaunlicher ist, dass Charlie Watts keine Fan der Stones Musik war.
„Es ist mein Beruf. Mick, Keith und Ronnie sind meine Freude, es ist eine sehr gute band, aber das war’s auch schon.“ (CGT Position 71)
Und möglicherweise hat genau das ihn zu dem richtigen Bandmitglieder an den Drums gemacht, zu dem ruhenden Pol, der Base, dem Menschen, der die Band zusammenhielt, weil ihm gar nicht so viel daran lag, dass sie zusammenblieb. In Keith Richards Autobiografie (vom Ghostwriter Andrew Loog Oldham verfasst) schrieb er:
„Es ist eigentlich wie ein Kreislauf. Aber der einzige, der keinen Fehler machen darf, ist der gute alte Charlie hinter mir. Wenn er uns den falschen Beat vorgeben würde, wären wir geliefert.“
Der Autor
Charlie Watts hat keinen Ghostwriter gewählt, um über sein Leben zu schreiben, sondern hat das anderen überlassen. Auch irgendwie typisch. Und er hat sicher den besten Biographen gefunden, der seine Geschichte erzählen kann. Paul Sexton begleitet die Rolling Stones seit mehr als 30 Jahren und hat all ihre Mitglieder etliche Male interviewt. Für sein Buch über Charlie Watts bekam er exklusiven Zugang zum engsten Umfeld der Band und zur Familie des Schlagzeugers. In neun Kapitel erzählt er den Aufstieg der Stones chronologisch und macht kleine Ausflüge zu wichtigen Stationen oder Menschen in Watts Leben oder den Ticks, die Charlie hatte, wie Dinge zu sammeln, was offenbar Begleiterscheinung einer Zwangsneurose war. Ordentlich sein, Dinge abschließen, auch mehrfach, alles sortiert behalten. Wie schön, dass er doch ein paar kleine Schwächen hatte.
Sexton tut uns den Gefallen, seine Biographie über Watts nicht minutiös zu planen und zu ordnen, sondern eher eine Anekdote nach der anderen zu erzählen und dabei, fast unmerklich, die Jahrzehnte der Band zu durchlaufen. So erfährst du natürlich auch viel über das Leben der Rolling Stones, ihren Aufstieg, die Probleme und Erfolge. Und das macht Spaß, besonders, wenn man die anderen Biographien oder Autobiographien kennt. Es setzt sich ein Bild zusammen.
Die Sprache, der Stil
Biographien gelten meistens nicht wirklich als Literatur und der Ton des Autors passt sich daher auch eher einem journalistischen Stil an. Als ob man einen Zeitungsartikel nach dem anderen lesen würde, eine Geschichte, eine Begebenheit. Die Puzzlestücke finden immer wieder zusammen und geben einem nie das Gefühl, dass es so und nicht anders gewesen ist. Erinnerungen sind unzuverlässig, sowohl die von Zeitzeugen als auch die eigenen. Die vielen Zitate und Gespräch im Buch überlassen es der Leser:in, was sie glauben will und diese Großzügigkeit ist angenehm.
Das Buch enthält ein Vorwort von Mick Jagger und eines von Keith Richard, am Ende gibt es zusätzlich einen ausführlichen Bildteil.
Fazit
Eine unerwartet unaufgeregte Biographie, die einen sehr wahrhaftigen Einblick in das Lesen von Charlie Watts bietet und nicht nur für Fans interessant ist.
- Verlag: Ullstein Paperback
- l384 Seiten
- OriginaltitelCharlie’s good tonight
- ÜbersetzungAus dem Englischen von Dieter Fuchs, Kristian Lutze
- ISBN9783864932472
- Erscheinungstag 24.11.2022
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