Rezension

„Sinkende Sterne“ von Thomas Hettche

9. November 2023
„Sinkende Sterne“ von Thomas Hettche

Es ist mein zweites Buch von Hettche. „Die Pfaueninsel “ war ein großer Publikumserfolg und als Berlinerin, die ganz in der Nähe der Pfaueninsel aufgewachsen ist, hätte es mich interessieren können, doch damals hat mich die umständlichen Erzählweise und das langsamen Erzähltempo aus dem Lesefluss geworfen. Doch – vielleicht war mein Leben damals einfach zu voll mit anderen Dingen. Für das Lesen von Hettche-Büchern muss man sich Zeit nehmen. Sich Zeit lassen. Nicht nur für seine (historischen) Romane, sondern auch für seine essayistisch-erzählerischen Erkundungen, mit denen er – wie es sein Verlag nennt – seine intellektuelle Autobiografie fortschreibt.

"Sinkende Sterne" von Thomas HettcheHettche denkt viel und genau nach. Er sieht zweimal hin und verlangt das auch von der Leser:in. Wir reden gerne davon, dass die Welt sich verändert, dass eine Klimakatastrophe droht, das alles anders werden muss – aber was bedeutet das genau? In „Sinkende Sterne“ entwirft Hettche eine auf den ersten Blick realistische Situation, die aber immer absurder und fiktiver wird. Ist das unserer Zukunft? Oder ein (Alb)-Traum? Auf jeden Fall bringt es unsere eingefahrenen Gedanken durcheinander und macht uns offen für neue Denkansätze. Lesen heißt bei Hettche mehr Mitdenken als sich berieseln zu lassen. Und das schätze ich.

Die Handlung ist eine interessante Mischung aus Erinnerung und Fiktion.

„Thomas Hettche erzählt, wie er nach dem Tod seiner Eltern in die Schweiz reist, um das Ferienhaus zu verkaufen, in dem er seine Kindheit verbracht hat. Doch was realistisch beginnt, wird schnell zu einer fantastischen, märchen-haften Geschichte, in der nichts ist, was es zu sein scheint. Ein Bergsturz  hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt und das Wallis zurück in eine mittelalterliche, bedrohliche Welt. Sindbad und Odysseus haben ihren Auftritt, Sagen vom Zug der Toten Seelen über die Gipfel, eine unheimliche Bischöfin und Fragen nach Gender und Sexus, Sommertage auf der Alp und eine Jugendliebe des Erzählers. „(Quelle: Verlag)

Schreibstil

Um es gleich zu sagen, Hettche Schreibstil ist nicht meins. Langsames Erzähltempo, eine antiquierte Sprechweise, lange Sätze. Aber es ist ein guter Stil und daher kann ich es genießen. Eine andere Sprachwelt, auf die ich mich einlassen muss und die mein Lese- und Lebenstempo erst einmal herabsetzt. Vielleicht gar nicht so schlecht, mit Hettche alles ein wenig langsamer anzugehen. Genauer hinzusehen, die Gefühlen, die manchmal unaufgefordert hervorpoppen ein wenig gründlicher zu untersuchen. Das ist ganz besonders der Fall, wenn man sich seine eigene Kindheit ansieht, wo alles einmal selbstverständlich war und im Rückblick manchmal unverständlich wird.

„Ich strich über das Lederläppchen, das der Vater eines Tages über das Schloss genagelt hatte, ich stand als Knabe dabei. Jetzt klappte ich es hoch, und es brach mürbe um die verrosteten Nägelchen herum ab. Das ist der Beweis, dachte ich. Beweis wofür? Dass es mich gibt? Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ins Schloss, das tatsächlich nicht verstopft war und sich schließen ließ, als wäre ich nur kurz weggewesen und nun wieder zurück.“ („Sinkende Sterne“, S. 7)

Der Autor

Thomas Hettche ist 1964 am Rand des Vogelsbergs geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Filmwissenschaft und lebt heute als freier Schriftsteller in Berlin und in der Schweiz. Thomas Hettche ist Mitglied des PEN und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Fazit

Nicht meins, aber ein Buch, für das mir sofort Leser:innen in meinem Bekanntenkreis einfallen. Ein Buch, das sich – wie alle Hettche-Bücher – leicht empfehlen lässt, denn es ist ein „Markenprodukt“. Es hat den Hettche-Sound und Stil und ist mit Sorgfalt geschrieben. Seltsam, dass mir das zu einem Buch einfällt, aber ich glaube, das trifft es gut.

„Sinkende Sterne“ von Thomas Hettche
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch
  • Erscheinungstermin: 07.09.2023
  • 224 Seiten
  • ISBN: 978-3-462-05080-6

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