Rezension

„Auf den Gleisen“ von Inga Machel

1. Februar 2025
Inga Machel Auf den Gleisen
„Auf den Gleisen“ von Inga Machel

Inga Machel Auf den Gleisen„Auf den Gleisen“ von Inga Machel ist ein kurzes Buch, doch Sprache und Inhalt sind wie stark zusammengepresst. Auch belastend, denn beim Lesen verfolge ich einen Protagonisten, der  Trauer und Erinnerungen an den verstorbenen Vater nicht  verarbeitet hat, nicht verarbeiten kann. Okay, ein Freitod, was die Sache noch problematischer macht.

„Ein Sohn verliert seinen Vater, dann sich selbst – und findet beides wieder auf den Straßen Berlins. Radikal und voller Schönheit erzählt Inga Machel in ihrem ersten Roman vom tiefen Verlangen nach Nähe und Beziehung, vom Scheitern, von Schmerz, Wut und Trauer und von der Suche nach einem Weg ins Leben.“ (Quelle Rowohlt Verlag)

Es ist schon 10 Jahre her, dass Mario seinen Vater verloren hat, nun ist er Mitte Dreißig und immer noch nicht bereit, zu akzeptieren, was geschehen ist. Eine Kindheit der emotionalenVernachlässigung, mit Unsicherheit und Armut gelastet, hängt ihm nach. So sehr, dass er sich einen Stellvertreter für den Vater suchen muss.

Der heroinabhängig P. wird zu Obsession, wird beobachtet, gestalkt, verfolgt. Doch Mario hat eigene Probleme, den Alkohol, die Sucht. Wer das Buch liest, muss bereit sein, sich ausschließlich auf die dunklen Aspekte des Lebens, von Familie und Überleben einzustellen. Das ist manchmal hart, wenn die eigene Realität zwar anders ist, aber nicht unverschont von extremen Erfahrungen ist.  Dann kommt die Frage auf, für wen dieses Buch geschrieben wurde, wer hier aufgeweckt und retraumatisiert werden soll. Oder anders gesagt: Die Geschichte ganz von der Autorin abzutrennen und sie als Studie der Hoffnungslosigkeit oder des Absturzes aufzufassen, fällt mir schwer. Wer schreibt hat ein Anliegen, hat eine Leserschaft vor Augen, auch wenn niemand für jemand speziellen schreibt, dann doch zumindest im Angesicht einer Leserschaft und ich vermute in diesem Fall auch sehr stark einer Kritikerschaft.

Der Literaturbetrieb kann viel schlucken und als Literatur in den Schutzbereich stellen. Interessante Milieustudie, gelungenes Debüt – doch mir verlangt dieses Buch ein starkes Maß an Empathie für nicht nur ein, sondern im Grunde drei gescheiterte Leben ab. Es ist nicht so, dass ich die Augen vor dem Elend verschließen möchte, aber sagen wir so: Ich habe genug davon gesehen, um nicht bis ins dramatische Detail davon lesen zu müssen.

Sprache

Die Sprache ist reduziert, klar und im besten Sinne literarisch. Und manchmal hat mich genau das gestört, ein wenig zu viel Berechnung. Auslassungen sind Geschenke an die Leserin, die sich selbst denken kann, was passiert, aber manchmal eben auch Tricks, damit niemand den düsteren Schleier wegzieht und fragt: Wozu? Worum geht es hier? 

Manchmal haben mich sehr ausführliche Aufzählungen gestört, die mir wie stilistische Übungen vorkamen,

Fazit

Ein Lese-Muss für jeden, der sich in der literarischen Blase befindet, schon allein, da das Buch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Machels Themen sind wichtig im literarischen Kanon, sind zeitgemäß und aktuell. Ein Muss nicht unbedingt für die literarisch interessierte Leser:in, die mehr sucht als eine etwas zu berechnende Abhandlung über die Abgründe von Sucht, Armut und Depression, die sich überall und ständig und vermutlich direkt vor unseren Augen abspielt.

Denn – machen wir uns nichts vor – aufgeweckt muss niemand werden, Themen wie Mental Health, Familienarmut, Depression sind stark in der Wahrnehmung und mittlerweile besonders auf Social Media weit verbreitet.

Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2024

„Auf den Gleisen“ von Inga Machel
  • Rowohlt Verlag
  • ISBN: 9783498003425
  •  22,00 € (EUR)
  • 160 Seiten

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