Rezension

„Mein gelbes U-Boot“ von Jón Kalman Stefánsson

4. Februar 2025
Mein gelbes U-Boot von Jón Kalman Stefánsson
„Mein gelbes U-Boot“ von Jón Kalman Stefánsson

„Mein gelbes U-Boot“ von Jón Kalman Stefánsson ist der neuste Roman des isländischen Schriftstellers.

„Ein Schriftsteller trifft in einem Londoner Park den alten Paul McCartney, der dort Schutz sucht vor der Sonne, der Hitze, dem Ruhm. Gleich spricht er ihn an, sagt sich der Mann, doch die Erinnerung funkt ihm dazwischen: Da wächst er in den Siebzigern ohne Mutter in Reykjavík auf, wo die Trauer alle Gipfel des Landes überragt. Er flüchtet sich ins Buch der Bücher, findet aber nur einen jähzornigen Gott, so fehlbar wie der trinkende Vater. Über die Jahre wird er selbst zum Schreibenden. Denn was, wenn nicht die Literatur, bringt das Licht der Tage zurück, und mit ihm all die, die wir liebten?“ (Quelle Piper-Verlag)

Als erstes möchte ich mich beim Piper Verlag bedanken, der Jón Kalman Stefánsson Bücher in der hervorragenden Übersetzung von Karl Ludwig Wetzig herausbringt.

Ich kann sagen, dass ich sehr viel, beinahe alles gelesen habe, was von Jón Kalman Stefánsson auf Deutsch erschienen ist. Vor ein paar Wochen auch Mein gelbes U-Boot und er übertrifft sich in meinen Augen noch einmal selbst. Ich kann mich nicht erinnern, jemals überhaupt eine solch skurrile, eigenwillige und virtuose Achterbahnfahrt von Geschichte gelesen zu haben.

Wie so oft in seinen Büchern, kündigt uns die Erzählstimme auch hier gleich am Anfang an, um was es geht: Ein wilder Ritt, durch Zeiten, Orte und Realitätsebenen, bei dem man sich ruhig anschnallen darf.

Die Toten sind genauso lebendig wie die Lebenden, die Erfundenen und Ausgedachten. Da hängt der allzeit besoffene Gott als Verkörperung des Alkoholismus ständig mit dem Vater ab und grölt ihm Blödsinn in die Ohren. Und die Toten ziehen die Lebenden aus dem Wasser.

Ich lese Übergänge von einem Bild ins nächste und versuche zu verstehen, wie ihm gelungen ist, das alles zusammenzuhalten. Denn unter diesem ganzen Feuerwerk läuft die sehr ernste, sehr emotionale Erzählung eines Jungen, der früh die Eltern verloren hat. Die Mutter an eine Krankheit und den Vater an den Alkohol.

Fazit

Ein Buch wie eine Schallplatte, bei der man die Nadel an jeder Stelle aufsetzen kann und sicher sein kann, eine mindblowing, fetzige Stelle zu treffen. Nachdem ich das Buch beim ersten Mal wirklich wie auf einer Achterbahnfahrt durchgeschleudert bin, gehe ich jetzt genauso damit um. Ich schlage es an irgendeiner Stelle auf, lande vielleicht am Fuß des Berges Sinai und muss mir eingestehen, dass ich bibelfester Mensch noch nie eine solche naiv, klarsichtige Überlegung dazu gelesen habe. Gott sagt: Du sollst nicht töten — Mach sie alle nieder. Und diese Erkenntnis kommt bei Stefánsson aus dem Munde eines Kindes.

Ich lese den Entwicklungsroman eines traumatisierten Kindes zu einem Schriftsteller. Einen autofiktionaler Roman? Auf jeden Fall ein Meisterwerk.

Nachsatz

Eine Anmerkung: Als begeisteter E-Book Leser finde ich es schade, dass hier der Gestaltung des Textes so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Trotz der eingeschränkten Layout-Optionen bei E-Büchern kann man das sehr viel schöner machen. Da hätte Jón Kalman Stefánsson mehr Sorgfalt verdient.

„Mein gelbes U-Boot“ von Jón Kalman Stefánsson
Erschienen am 29.08.2024
Piper Verlag
Übersetzt von: Karl-Ludwig Wetzig
368 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07289-2

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