Rezension

„Unentdeckt“ von Gabriela Wiener

3. März 2025
Unentdeckt von Gabriela Wiener
„Unentdeckt“ von Gabriela Wiener

„Unentdeckt“ von Gabriela Wiener hat mich interessiert, da es feministische und koloniale Aspekte vereint, eine ungewöhnliche Mischung. Und eine wichtige Mischung, denn was im zwischenmenschlichen „Kleinen“ in Beziehungen passiert, ist ein deutlicher Hinweis auf das, was sich im „Großen“, (Welt)politischen zeigt, wie uns gerade unschön vorgeführt wird. Literatur von Frauen wird gerne für ihre Emotionalität und ihren Fokus auf Beziehungen geshamet und gleichzeitig wird seit Jahrhunderten erwartet, dass Frauen sich um die zwischenmenschliche Gesundheit von Familie oder Organisationen kümmern. Am besten still und leise, bevorzugt unbezahlt. Auch darüber schreibt Wiener, setzt nicht nur den Fokus auf die bedeutenden Männer ihrer Familie, sondern auch auf die Frauen, Geliebten, Nebenfrauen des Wiener-Clans.

Unentdeckt von Gabriela WienerCharles Wiener erbeutete im 19. Jahrhundert tausende von Artefakten aus Lateinamerika und – ist Wieners Ururgroßvater. An ihm arbeitet sich Wiener ab, an ihm misst sich die verzweigte, multinationale Familie. Zu recht? Der Tod des Vaters ist der Auslöser für Wieners Auseinandersetzung, die immer wieder zwischen Erinnerungen und (all)täglichen Ereignissen hin – und herswitcht.

Gabriela Wiener hat nicht vor, irgendjemanden zu schonen, wenn sie schreibt. Am wenigsten sich selbst. Ähnelt sie dem egozentrischen, narzisstischen Ururgroßvaters Wiener? Dem Vater? Prangert sie ihn an, aber ist im Privaten gerne selber die Täterin, betrügt und verrät, nimmt sich, was sie braucht und lässt andere verletzt zurück? All das muss aufgedeckt werden und Wiener tut das mit Eleganz und brutaler Offenheit.

Es macht Spaß, in diesen Zeiten ein Buch von einer Autorin zu lesen, die ihr Schreiben dieser tiefen Wahrheit widmet. Nicht nur in diesem Buch, das in 2024 auf der Shortlist des International Booker Prize stand, sondern auch in ihren vorherigen Büchern.

Sprache

Das Buch ist aus dem peruanischen Spanisch von Friederike von Criegern souverän übersetzt. Die Stimme von Wiener erinnert mich an Delphine de Vigan. Kühl, klar und dann wieder sehr emotional und weich. Ich mag diese Mischung, die nicht nur eine stilistische ist, sondern auch eine emotionale Intelligenz zeigt, die ich oft in Büchern vermisse. Den Mut sich selbst in den Mittelpunkt der Story zu stellen, sich nicht zu schonen, eine Art literarischer Journalismus.

Dazu gehört, dass Wiener koloniale Fremdbezeichnungen, rassistische Klischees und Vorstellungen ungefiltert weitergibt. Denn egal, wie viele Worte wir kursiv oder in Anführungsstriche setzen, wie viele Worte abmildern oder angemessen benutzen – es gibt einen Einheit aus Denken und Sprache und das wird an den Zitaten aus Charles Wieners Aufzeichnungen sehr deutlich. Damit müssen wir leben, es ist gut, dass die Sprache hier weder von der Autorin noch von der Übersetzerin oder dem Verlag verändert wurde.

Fazit

Ich danke dem Kanon Verlag für die Entschlossenheit, einen solchen Roman zu veröffentlichen. Die Übersetzung wurde vom Litprom e.V gefördert und ist mit Kooperation (was auch immer das bedeutet) des Goethe-Instituts entstanden. Solche Förderungen sind wichtig. Ich wünsche mir viele Preise und Auszeichnungen, noch mehr Einladungen wie die auf die Lit Cologne und dann einen Erfolg, der sich ja nicht immer an verkauften Exemplaren messen sollte.

Und, richtig, ihr Menschen auf der Welt solltet das Buch lesen. Sofort.

„Unentdeckt“ von Gabriela Wiener

192 Seiten
Deutsche Erstausgabe Übersetzt von: Friederike von Criegern
€ 22,00 (D) / € 22,70 (A)

ISBN 978-3-98568-165-5

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