Martin Luther 2017

Martin Luther #27 Das Berliner Lutherdenkmal

7. Juli 2017
Berliner Lutherdenkmal Postkarte 1904

Das Berliner Lutherdenkmal

Ursprünglich stand das Berliner Lutherdenkmal an der heutigen Kreuzung von Spandauer- und Karl-Liebknecht-Straße, im Zentrum der Reichshauptstadt. Über zehn Stufen konnte der Betrachter die 1895 eingeweihte vielfigurige Denkmalanlage ersteigen. Die Lutherstatue selbst überragte in herrischer Pose auf einem Granitsockel das Areal. Es ist nicht der Luther auf existenzieller Suche nach Erkenntnis, nicht der Luther, der mit allem Mut und Konsequenzen für diese Erkenntnis einsteht, nicht der Luther, der verzweifelt um seine Reformation ringt, sondern eher der Luther, der in Selbstherrlichkeit die mit Löffeln gefressene Weisheit verkündet. Eine Haltung, die nicht nur uns, sondern auch schon seinen Zeitgenossen unangenehm war. Zum wilhelminischen Nationalbewusstsein passte sie aber offensichtlich sehr gut. Sechs Fürsprecher und Mitstreiter Luthers durften zu seinen Füßen sitzen und auf den Treppenwangen erwarteten Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen den Besucher. Von der Anlage ist nicht viel übrig geblieben. Nur die 3,5 m hohe Lutherstatue selbst ist erhalten.

Die anderen Figuren sind in den 1940er Jahren eingeschmolzen worden, weil man irrtümlicherweise geglaubt hatte, mit der dadurch gewonnenen Bronze einen Weltkrieg gewinnen zu können. Das hat, wie sich bald herausstellte, nicht geklappt.

Die ganze Anlage wurde von den Gegnern ziemlich zerbombt. Die Lutherfigur und verschüttete Reste des ehemaligen Fundaments sind das einzige, was von dem Denkmal übrig geblieben ist. Luther stand in seiner Siegerpose dann einige Jahre in Berlin Weissensee, bevor er kurz vor dem Mauerfall an der Nordseite der Marienkirche aufgestellt wurde. Zwar ganz in der Nähe des ursprünglichen Standorts, aber nicht mehr im Zentrum des Stadtbildes, sondern eben, man könnte fast sagen, verschämt im Schatten der ältesten noch für Gottesdienste genutzten Kirche Berlins.

Das große Lutherjubiläumsjahr ist natürlich auch Anlass, sich in Berlin mit diesem kümmerlichen Rest des Lutherdenkmals an der Marienkirche zu beschäftigen.

Eine Ausschreibung als Kopfgeburt

Man möchte wieder ein richtiges, der Hauptstadt angemessenes Lutherdenkmal an alter Stelle. Evangelische Landeskirche und Senat, dem das Grundstück gehört, schreiben einen Ideenwettbewerb aus. Sie machen sich auch gleich ein paar Gedanken, was das Denkmal denn ausdrücken könnte.

  • Natürlich kann man Luther heute nicht mehr als den Nationalhelden feiern, als der er auf seinen Sockel gestellt wurde.
  • Wegschmeissen kann man die Statue aber auch nicht, ist ja schließlich nicht nur ein Kunst- sondern auch ein historisches Denkmal.
  • Am besten die Statue wird also Teil der neuen Denkmalanlage.
  • Und wie man ja nicht nur aus unserem Blog weiß, war Luther eine vielschichtige Persönlichkeit, die auch ihr schattigeren Momente hatte. Das soll natürlich auch im Denkmal ausgedrückt werden.
  • Und es soll auf magisch künstlerische Weise Bezug genommen werden zur Stadtgeschichte,
  • speziell zur jüdischen Geschichte,
  • noch spezieller zu Moses Mendelssohn, weil er in der Nähe wohnte.
  • Und zu den Skulpturen von Sacko und Jacketti auf dem Marx-Engels-Forum gegenüber (vielleicht könnte man es als einen neuen Berliner Drogenumschlagplatz gestalten und Opium fürs Volk verteilen).
  • Noch nicht alles: es soll auch die Rolle der Frauen in der Reformation und im Protestantismus beleuchten.
  • Und Bezug nehmen auf das Stadtschloss, heißt es jetzt schon wieder Stadtschloss?
  • Im Ernst: es soll auch »an einem Transitort für Millionen von Touristen aus aller Welt vergegenwärtigen, dass die Zentren des Protestantismus mehrheitlich heute in Afrika, Asien und Lateinamerika liegen«.

Viel Spaß dabei. Hier trieft nicht nur die Angst vor womöglicher politischer incorrectness, sondern auch vor echter bedeutungsvoller, auch emotionaler Auseinandersetzung mit dem Menschen Luther. Und diese absurden Vorgaben lassen natürlich keinen Raum für einen künstlerischen Prozess. Da kann man sich nicht wirklich in der Arbeit auf Luther einlassen und mal hören, was er vielleicht dazu zu sagen hätte. Wie er sich heute darstellen würde, sich dargestellt hätte.

Gewonnen hat also folgerichtig eine Kopfgeburt

In ihr stecken viele gute Gedanken. Obwohl von Geburt noch nicht die Rede sein kann. Ob die Idee jemals zur Niederkunft kommt, ist noch nicht entschieden. Wie man lesen kann, sind ausgerechnet die Kirchenvertreter nicht sehr angetan von dem Siegerentwurf.

Der schlägt vor, die Lutherstatue abzuformen, noch einmal in Aluminium zu gießen und zu verchromen. Beide Skulpturen sollen sich dann am ehemaligen Standort gegenüberstehen. Glänzender Chrom? Erstmal eine echter Hingucker, solange immer schön geputzt wir. (Mein Motorrad lässt grüßen).

Statt eines erhöhten Plateaus, soll das Areal um drei, vier Stufen abgesenkt werden. Wunderbare Idee, dass man herabsteigen muss. Das wirkt nicht nur einer Heroisierung entgegen, sondern deutet in meinen Augen auch eine historische Distanz an. Man steigt gewissermaßen in die Vergangenheit.

Der Plan sieht weiter vor, den Boden mit Betonplatten auszulegen, auf denen tausende LED Leuchten eingelassen sind über die Texte ablaufen können.

Die Texte sollen, wie ich höre, Zitate Martin Luther Kings und Dietrich Bonhoeffers wiedergeben. Beide für ihre Überzeugungen gestorben, der eine von einem Rassisten erschossen, der andere von den Nazis hingerichtet. Man hofft wohl, dadurch irgendwie auf Luthers beispielhafte unbeugsame Haltung und auf seine Wirkung über die Jahrhunderte zu verweisen. Aber auch wenn Luther seine Erkenntnisse und die Kraft, für sie einzustehen, selbst aus einem Text gewonnen hat, scheint mir der Rückzug auf Texte hier allerdings ein etwas hilfloser Kunstgriff zu sein. So als vertraue man seiner eigenen Gestaltungskraft nicht so recht und ziehe sich lieber auf das Wort zurück. So als würde man in einem Film ständig mit voice over arbeiten, weil die Bilder nicht reichen. Aber vielleicht lassen die Texte die – durch die glänzende Skulptur angelockten – Besucher lesend länger verweilen. Vielleicht …

Selbstbespiegelung oder Auflösung

Blöd gelaufen, dass das Siegerteam, bestehend aus dem Künstler Albert Weis und dem Architekturbüro Zeller & Moye, glaubten, ihre Arbeit erläutern zu müssen. »Luther tritt über die gespiegelte Skulptur in einen Dialog mit sich selbst«, schreiben sie. Damit geben sie der Interpretation eine seltsame Richtung vor. Und darauf hebt dann auch die Kritik der Theologenfraktion offensichtlich ab, die behauptet, eine Selbstbespiegelung sei ein absolutes Unding für Luther gewesen.

Dem wäre zu entgegnen, dass man Luther, je nachdem, wie man das Wort auslegen will, auch als Meister der Selbstbespiegelung sehen könnte. Er hat nicht nur seine psychischen und physischen Befindlichkeiten sehr genau wahrgenommen und auch beschrieben, sondern war sich auch der Wirkung seiner Erscheinung, seines Auftretens sehr bewusst. Er konnte sich und ließ sich auch inszenieren.

Ich denke aber, es geht überhaupt nicht um Selbstbespiegelung. Dann hätten die Preisträger sicher wirklich einen Spiegel aufgestellt.

In meinen Augen würde sich da nicht ein Luther selbstverliebt in seinem glänzenden Ebenbild bespiegeln. Da stehen sich eher zwei Luther in Siegerpose gegenüber, wie in einem Boxring. Der eine in fester wilhelminischer Bronze, der andere in Chrom. Die glänzende, spiegelnde, funkelnde Chromoberfläche wird die Konturen und Form optisch auflösen. Da würde sich ein Luther, wenn er denn hinschauen würde, im Auflösungsprozess sehen, in dessen Glanz sich lustig verzerrt die Betrachter widerspiegeln. Das hat doch was.

 

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