Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Darüber habe ich den einen Tag mit Isabel gesprochen. Credits to her, weil ich heute über eine wichtige Sache beim Buchstabengestalten sprechen werde.
Bevor ich zur Schrift komme, möchte ich aber noch eine interessante Entdeckung teilen. Sie begleitet mich seit einem halben Jahr. Durch eine Serie, die extravagante Häuser zeigt (›extravagant‹ verspricht die Serie), habe ich zum ersten Mal für mich verstanden, dass gute Architektur nicht darum geht ein schönes Haus irgendwo hinzusetzen (in die Landschaft gestellt, fertig!). Gute Architektur entsteht erst, wenn die Architektin sich mit dem Ort, an dem das Haus gebaut werden soll, tiefgründig beschäftigt. Das Haus muss immer ins Gespräch mit seiner zukünftigen Umgebung kommen. Erst wenn das geschieht, kann eine Symbiose entstehen. Das Sonnenlicht wird zum Beispiel schlau eingefangen, damit dunkle Räume trotzdem aufgehellt werden können. Soll es ein Ort der Ruhe werden, oder ist es Kontrastprogramm zum ruhigen Wald in dem es steht? Alles Entscheidungen.
Als Architekt gestaltest du nicht nur das Haus, sondern zu deinen Aufgaben gehört auch, die Welt, die das Haus umgibt, zu verstehen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Nur dann kann etwas wirklich Gutes entstehen.
Hier gelingt mir sehr leicht und elegant die Brücke zum heutigen Thema (yes!). Wenn du Buchstaben und Schriftzüge zeichnest ist das die eine Seite. Die andere und genauso wichtige ist, dass du ein Auge auf das werfen kannst, was du nicht zeichnest. Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach. Bei mir hat es Klick gemacht und das wünsche ich mir auch für dich, nachdem du diesen Beitrag gelesen hast.
Was du sehen kannst – Shape
Hier hast du ein sympathisches, nicht-ganz-so-toll-gezeichnetes R. Erstmal nichts Besonderes zu sehen, weiterscrollen!
Was du (noch) nicht sehen kannst – Counter Shape
Was ist passiert, was soll ich mit einer Briefmarke?
Erstens, das ist keine Briefmarke und zweitens: Die orangenen Formen um und im Buchstaben signalisieren hier den Weiß-, oder Zwischenraum. Der Raum, den du öffnest, wenn du den ersten Strich auf dein Papier malst. Übrigens gibts für den eingeschlossenen Weißraum oben im R einen schönen Namen, die ›Punze‹ (bitte lächeln!). Die gibt es in vielen Buchstaben, bei denen geschlossene Weißräume eine Rolle spielen (zB. q e o p a d g b Q O P A … ).
Wie du auf dem Bild schon siehst, es gibt meistens mehr Weißraum auf dem Papier, als Buchstaben drauf sind.
Beziehung – gerne harmonisch
Alleine wirst du Buchstaben selten sehen …
… weil unsere Schrift entstanden ist um Zusammenhänge darzustellen, ganze Informationen abzubilden oder weiterzugeben. Und wann sagt man mal »R.« oder »Q!«. Eher »O!«? Dann doch lieber in Verbindung: »Oh!«. Wir benutzen eigentlich immer Buchstaben im Verbund, aneinandergereiht. Damit der Inhalt zum Vorschein kommt.
Zwischen jedem Buchstabenpaar entsteht ein eigener Zwischenraum. Fürs Schriftmalen bedeutet das, dass natürlich die Buchstaben schön aussehen sollen, aber das Dazwischen will auch glänzen. Diese Weißräume sind eigene Figuren, man könnte sie schon fast selber Buchstaben nennen.
Gucken wir mal genauer hin!
Eine geschriebene Zeile. Einfach, hier passiert nicht viel.
Doch, guck mal genauer hin! Dann siehst du was im Stillen passiert. Ich habe die Buchstabenzwischenräume ausgemalt. Im Bild oben, gibt es ein paar Buchstaben plus Komma und Ausrufungszeichen. In der unteren Abbildung wird klar, dass es weit mehr Formen gibt, die sich im Hintergrund gebildet haben. Denn jede Buchstabenverbindung die du tippen kannst erhält ihre ganz individuelle Gegenform.
Es gibt also mehr mögliche Buchstabenzwischenräume als Buchstaben.
Yes, please, hier auf Englisch:
Mein drittes Beispiel ist Polnisch. Viele Länder benutzen das lateinische Alphabet (unser ›normales‹ Alphabet). Das Interessante ist, dass trotzdem jedes Land, obwohl wir uns ein Alphabet teilen, seine eigene Heimat im Schriftbild widerspiegelt. Wenn du in Polen eine Zeitung aufschlägst, wirst du schnell merken, dass die Texte in der Zeitung ausstrahlen »Wir sind anders, als das was du in Deutschland kennst.«. Genauso ist es wenn du dir Zeitungen in England, Portugal, oder Italien anschaust.
Hier kommt der Knackpunkt: In der deutschen Sprache kommen relativ oft Buchstabenverbindungen wie ch, de, en, ei oder in vor. In England zB. th, an, on oder it. In Polen wiederum ie, ze oder ow ( –das ist keine wissenschaftliche Recherche, ich habe einen langen Zeitungsartikel aus Deutschland, aus Polen und aus England auf die häufigsten Buchstabenverbindungen abgesucht. Ist also eine Stichprobe–). Jede Sprache hat da ihre häufigsten Verbindungen. Die Buchstabenzwischenräume dieser Verbindungen prägen ein Seitenlayout und geben ihm seine Identität.
Bei meinem polnischen Beispiel siehst du auch noch dass es manchmal coole Add-Ons zu den Staben gibt. In Polen gibt es zB. das l mit einem Strich, oder das Accent Aigu, bloß etwas steiler aufgestellt (Acute), sowie einen Haken, der unter manchen Buchstaben zu finden ist (Ogonek, wenn dich das noch mehr interessiert, hier ist eine gute Seite, die auf Akzente eingeht).
Alleine an der Häufigkeit einzelner Buchstabenverbindungen kannst du eine Sprache identifizieren!
Hier ein paar Zwischenformen die beim Schreiben entstehen können.
Wie gesagt, Harmonie!
Unser Auge mag Harmonie (manchmal, aber selten, auch gekonnte Zerstörung). In dem unteren Bild siehst du einen unharmonischen und unregelmäßigen Zwischenraum …
… wohingegen hier klar ein harmonischer Rhythmus entsteht:
Alles in allem
Mach dir bewusst, dass du immer wenn du malst, auch den Raum gestaltest, den du eigentlich nicht gestaltest (Weißraum? Weißraum!). Jede Buchseite hat viel mehr Weißraum als das, was dort gedruckt steht. Malst du schöne Buchstaben, so malst du meistens auch schönen Weißraum (automatisch!). Trotzdem lohnt es sich immer wieder mal kurz zu checken, ob da alles stimmt. Das erlaubt mehr Kontrolle über ein schönes Lettering. Und vielleicht kann ich das mit dem man gestaltet etwas was man nicht gestaltet noch auf irgendetwas anderes Interessantes übertragen, nach dem Motto »Du kannst nicht nicht kommunizieren.«. Vielleicht fällt mir da noch was ein …
Wie gefallen dir eigentlich meine Beiträge? Verfolgst du sie schon ein bisschen? Oder hast du schon selber Dinge ausprobiert? Sind meine Beiträge bildlich genug, oder fehlt dir etwas? Ich freu mich über dein Feedback und Comments.
Bis zum nächsten Mal!
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