Autobiographisches Schreiben

AUTOBIOGRAPHISCHES SCHREIBEN – #4 ALINA BACH

10. Juli 2019
Alina Bach

Liebe Leser*innen, liebe Autor*innen, heute geht es in der Reihe über autobiographisches Schreiben um ein großartiges Buch von Alina Bach.

Ein Pseudonym

Alina Bach ist das Pseudonym einer deutschen Journalistin und Kinderbuchautorin, heißt es in dem Autorenprofil des DuMont Verlags, in dem ihr Buch »Die Liebe in dunklen Zeiten« erschienen ist.

Alina Bach

Diejenigen, die unserem Blog schon länger folgen, werden sich vielleicht wundern. Wir vertreten bei Red Bug Books immer wieder die Meinung, dass sich Künstler zu ihrem Werk stellen und sich nicht hinter einem Pseudonym verstecken sollten. In diesem Fall ist es anders.

Paradoxerweise macht es erst das Pseudonym für Alina Bach möglich, so authentisch zu schreiben, wie es ihre Geschichte braucht. Sie stellt ihrem Buch den Hinweis voran: Zum Schutz aller, über die in diesem Buch berichtet wird, wurden sämtliche Namen geändert.

Da die Autorin selbst die Hauptprotagonistin in dem Buch ist, ist es nur konsequent, dass auch ihr Name geändert ist. Würde sie ihren Klarnamen preisgeben, wären auch alle anderen Personen in dem Buch leicht zu identifizieren.

Warum wäre das so schlimm?

Nun, es geht in dem Buch um einen Menschen, der unter einer schweren Form von Depression leidet. Der Untertitel des Buches gibt einen Hinweis: Partnerschaft und Depression – Erfahrungen einer Angehörigen.

Ja, und leider sind, trotz aller Lippenbekenntnisse, mental health problems oder sagen wir doch einfach psychische Probleme, immer noch ein Tabuthema. Nein, eigentlich kein Tabuthema. Es wird ständig darüber geschrieben, gebloggt und getedtalked. Das Thema ist eigentlich in aller Munde. Und auf die Distanz auch salonfähig.

Schwieriger wird es dann schon, wenn man etwas näher rankommt. Vielleicht selbst betroffen ist, oder eng mit einem Betroffenen (welch ein Wort!) zusammenlebt. Da greift dann schnell das alte Stigma.

Unwissenheit, Unverständnis, Ungeduld im besten Fall.

Angst, Abscheu, Verachtung in nicht so guten Fällen.

Der Schutz der realen Personen in Alina Bachs Buch durch die Änderung der Namen ist hier also durchaus gerechtfertigt. Was psychische Krankheiten angeht, leben wir noch immer in Philadelphia.

Ein Buch nicht nur für Angehörige

Alina Bach wird unvermittelt selbst mit einer schweren Form von Depression konfrontiert.

Kaum hat sie — endlich — die Liebe ihres Lebens getroffen, fällt ihr Lover in ein – ja was? – tiefes Loch, in eine zerstörerische Depression. Alina Bach mutiert von der Geliebten zur Angehörigen.

Und aus der Sicht einer liebenden Angehörigen schreibt sie dieses Buch für Angehörige.

In einem »Holy shit« überschriebenen Prolog beklagt sie die fehlenden Anlaufstellen, Beratungsstellen, die fehlenden professionellen oder auch nur hilfreichen Ratschläge für liebende Angehörige depressiver Menschen.

Ihr ist dabei allerdings nicht nur ein großartiges, Hoffnung machendes und informatives Buch für Angehörige gelungen, sondern auch ein Buch, in dem sich die Betroffenen selbst, die latent oder akut depressiven Menschen wiederfinden werden.

Depressionen haben sehr unterschiedliche Formen. Und jeder wird sie subjektiv anders empfinden. Aber ich habe unter den vielen Büchern, die sich mit Depression beschäftigen, noch nie ein Buch gelesen, das derart genau, einfühlsam und beispielhaft die Gefühlswelt eines Depressiven beschreibt.

Es ist also nicht nur ein Buch für die Angehörigen, sondern auch ein Buch für Menschen, die selbst unter Depressionen leiden. Sie werden sich ein wenig besser verstanden fühlen.

Ein autobiographischer Liebesroman

Ich möchte hier aber nicht länger auf das Thema Depression eingehen, sondern den Focus mehr auf das autobiografische Schreiben lenken.

Denn was das Buch in meinen Augen vor allem aus der umfangreichen Literatur über Depressionen heraushebt, ist, dass es einfach ein großartiger autobiographischer Liebesroman ist.

Alina Bach schreibt eine Liebesgeschichte. Und zwar eine dramatische.

Die Geschichte ist nicht deshalb dramatisch, weil in ihr dramatische Dinge passieren. Sondern weil sie im Gegensatz zu einer romantischen Liebesgeschichte (oder einer romantic comedy) einen anderen strukturellen Aufbau hat.

Das Genre Liebesgeschichte

Damit es keine Verwirrung mit den unendlichen für die Vermarktung nützlichen Kategorien gibt, möchte ich euch hier noch einmal den Unterschied kurz erläutern.

Kategorien beschreiben eher das Setting als die Struktur eines Romans. Ist er in der Gegenwart, im Mittelalter, in der Antike, in der Zukunft, in Europa, Amerika, auf dem Land, in New York, in einer Raumstation oder wann und wo auch immer angesiedelt? Geht es um Jugendliche, um unterschiedlich alte Menschen, um hetero-, homo-, bisexuelle Menschen, geht es überhaupt um Menschen, oder vielleicht um Tiere oder Fantasiewesen? All das gibt einen sehr guten Hinweis darauf, was den Leser vielleicht erwartet, aber es sagt nichts über die Struktur eines Romans aus.

Denn wo auch immer und mit welchen Protagonisten auch immer es spielt, das Genre »Liebesroman« reduziert sich im wesentlichen auf drei Untergenres:

  • Die romantische Liebesgeschichte (oder romantic comedy),
  • die dramatische Liebesgeschichte,
  • und die tragische Liebesgeschichte.

Jedes dieser Untergenre hat eine eigenen Aufbau, eine eigene dramaturgische Struktur. Und die ist unabhängig vom Setting der Geschichte.

Vorneweg: bei einer tragischen Liebesgeschichte geht es nicht darum, dass vielleicht einer der Lover fremdgeht, krank wird oder sogar stirbt. Nein, viel schlimmer: in einer tragischen Liebesgeschichte glaubt einer der Protagonisten gar nicht an die Liebe. Oft geht es hier um Abhängigkeit oder Missbrauch.

Dagegen muss es aber auch in einer romantischen Komödie nicht unbedingt lustig zugehen. Die Struktur ist allerdings immer gleich. Zwei Menschen, oder wer oder was auch immer, sind einsam, sind auf der Suche nach einem Partner, den sie lieben können und der sie liebt. Sie treffen sich. Es gibt Verwicklungen und am Ende kommen sie zusammen, oder auch nicht. Natürlich verkauft sich das Happy End besser und darum enden die meisten romantischen Liebesgeschichten genau dann, wenn die beiden (endgültig) zusammenkommen.

Die dramatische Liebesgeschichte

In einer dramatischen Liebesgeschichte ist es genau umgekehrt. Ich möchte Alina Bachs Buch nicht spoilern, daher werde ich mich hier möglichst auf Details beziehen, die schon im Klappentext stehen. Da heißt es: Als Alina Bach Jannik Küster trifft, beginnt eine Liebe voller Lebensfreude, Empathie und Respekt. Es gibt also nicht zwei Einsame, die sich nach 300+ Seiten endlich zusammentun, sondern sie sind gleich, schon zu Beginn des Buches zusammen. Das erste Kapitel beschreibt dann auch, wie unglaublich gut, einfühlsam und häufig der Sex ist, den die beiden genießen.

Das ist das Setting einer dramatischen Liebesgeschichte. Zwei Liebende haben sich schon zu Beginn gefunden. Und ab da müssen sie ihre Liebe verteidigen.

Sei es gegen gesellschaftliche Moralvorstellungen, gegen den Willen der Eltern, gegen kultureller Widerstände. Aber auch gegen Verführungen, Eifersucht, materielle Versuchungen, oder eben auch gegen Krankheit, Tod oder Depressionen.

Für die Protagonisten gibt es dann auch gleich ein böses Erwachen. Jannik bricht unvermittelt zusammen. Er wird unendlich müde, unfähig, am Leben teilzunehmen, und bald scheint er ganz desinteressiert an Zweisamkeit. 

Was beide nicht ahnen, dass das erst der Anfang ist. Beide – und auch sicher die Leser*innen – können sich nicht vorstellen, wie tief es von da aus noch runter gehen kann.

Neun Jahre begleitet Bach ihren Partner durch Erschöpfung und Verzweiflung, die nicht nur ihr gesamtes Leben bestimmt, sondern auch vor ihr selbst nicht Halt macht. Verzweiflung, Trauer, Angst, Wut und Verzicht bestimmen ihr Leben. Aber über allem steht immer wieder ihr fester Glaube an die Liebe. Nein, das unveränderte Gefühl der Liebe, oder nein, über allem steht einfach ihre Liebe zu Jannik.

Das ist großartig zu lesen. Da wächst jemand an einer Aufgabe über sich hinaus, wie man so leichthin sagt. Aber das allein macht das Buch nicht zu dem großartigen Liebesroman, das es ist.

Die Reise der Helden

Das passiert erst durch die fantastische Struktur, die Alina Bach ihrer Geschichte gibt. Sie folgt dem bekannten Modell der Reise des Helden. Wer sich intensiver damit beschäftigen möchte, dem empfehle ich Katrins Blogreihe über die Stationen der Heldenreise.

Alina Bach beschreibt zunächst ihre gewöhnliche Welt, die allerdings, wie wir gesehen haben, gar nicht so gewöhnlich ist, sondern großartig ist. Eine tolle einfühlsame Liebe, ein intelligenter Lover, materiell großzügige Verhältnisse, ein freies ungebundenes, ausgelassenes Leben.

Und in diese Welt kracht die Depression. Zunächst wird sie verleugnet. Die Aufgabe, sich mit ihr auseinanderzusetzen und zu erkennen, welchen Einfluss sie auf die Liebe der beiden hat, wird nicht angenommen. Die Verweigerung. Bis das Paar begreift, dass eine Depression in der Beziehung das Ruder übernommen hat, vergeht schmerzlich viel Zeit.

Erst dann nehmen sie die Aufgabe an. Und es geht tief hinunter. Freunde und Verbündete tauchen auf, tauchen ab. Hoffnung glimmt auf und wird zerschlagen. Es geht sehr tief hinab. Das Leben, wie sie es kannten, wird zerschlagen, vollkommen zerstört und mit ihm auch beinahe die Liebe.

Es gibt den Punkt, an dem der Feind übermächtig erscheint. Die Depression scheint zu siegen. Ihr Zerstörungswerk im wörtlichen Sinn zu vollenden. Die Protagonisten sind am Boden. Sie scheinen besiegt, die Liebe verloren. (Die Leser*in wird diese Stelle unschwer erkennen)

Doch wenn die Nacht am tiefsten ist …

taucht mit dem dritten Akt eine neue Inspiration auf. Beinahe ein Engel. Neue Hoffnung keimt.

Und am Ende kann Alina Bach davon erzählen, wieviel Hoffnung es gibt und wie die Zeit der Depression eine aushaltbare, ja sogar bereichernde Erfahrung werden kann – ganz besonders in Sachen Liebe.

Authentizität oder Konstruktion?

Aber ist nicht alles so passiert? Ist es nicht authentisch? Hat sie es nicht so aufgeschreiben, wie es war? Und wenn alles so passiert ist, muss die Autorin sich dann einen Kopf um die Struktur machen?

Ob sie hart an der Struktur gearbeitet hat, oder ob ihr das Buch wie von selbst in diese großartige Form geflossen ist, spielt eigentlich keine Rolle.

Während sie diese neun Jahre durchlebt hat, waren sie authentisch as hell. Aber Alina Bach wird definitiv keine Struktur in dem Erlebten erkannt haben. Falls sie Aufzeichnungen gemacht hat, Tagebuch geschrieben oder ähnliches, werden diese Aufzeichnungen authentisch sein, aber keine Struktur haben. Sie werden für den außenstehenden Leser vielleicht ein authentisches Zeitzeugnis darstellen, aber kein lesbares Buch.

Wir sehen also: erst die so selbstverständlich erscheinende Struktur macht das authentisch Erlebte, Durchlittene, zu der spannenden, erhellenden, ermutigenden, tränenreichen, beinahe übermenschlichen Liebesgeschichte, die Alina Bach mit »Liebe in dunklen Zeiten« gelungen ist.

Aber lest bitte selbst. Alina Bach – Die Liebe in dunklen Zeiten. DuMont Buchverlag, Köln 2017

Bis dahin Uwe

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