Autobiographisches Schreiben

AUTOBIOGRAPHISCHES SCHREIBEN #24 THOMAS GLAVINIC

19. Februar 2020
Glavinic

Ein Mann schreibt einen Roman. Der Mann heißt Thomas Glavinic, der Roman heißt »Die Arbeit der Nacht« und der Mann will das, was alle wollen: Erfolg. ER hat ein Manuskript, eine Literaturagentin, Kopfschmerzen, Angst vor Hodenkrebs, viel zu viel Alkohol und leider zumeist unerträgliche Mitmenschen. Und er hat auch einen netten Kollegen, der selbst einen Roman geschrieben hat, Die Vermessung der Welt, dessen Verkaufszahlen die Mutter unseres Autors zu dem Aufschrei bringen: „Wann schreibst du denn mal so was?“

So lautet einer der Klappentexte des Romans »Das bin doch ich« von Thomas Glavinic. 2007 im Carl Hanser Verlag erschienen.

Glavinic Das bin doch ichIn vierundzwanzig  Kapiteln entwirft Thomas Glavinic in »Das bin doch ich« eine eitle, zum Alkohol tendierende Autorfigur, die zwischen Minderwertigkeitsgefühl und Hybris von einem Fettnäpfchen in die nächste Peinlichkeit trampelt. Dabei sich nicht entblödet, Frau und Kind zu vernachlässigen. In vierundzwanzig Anekdoten wartet der Autor zuerst auf die Vermittlung seines Buches durch seine Agentin, dann auf die Veröffentlichung, später hofft er – Spoiler – (vergeblich), auf die Longlist des Deutschen Buchpreises zu kommen. Währenddessen telefoniert er dauernd mit seinem Freund Daniel, der ihm die Verkaufszahlen seines neuen Buchs »Die Vermessung der Welt« durchgibt 25.000, 50.000, 250.000 …  und betrinkt sich bei jeder Gelegenheit. Nicht um zu provozieren, sondern weil er gegenüber dem Kulturbetrieb nicht zwischen Anbiederung und Abscheu entscheiden kann. Die Karikatur eines hypochondrischen Schriftstellers in einer Literaturbetriebssatire also?

So kann man das Buch lesen und sich streckenweise amüsieren.

 

Oder doch Autofiktion?

In dieser Blogreihe sind uns immer wieder Autor*innen begegnet, die »autobiografisch« über ihr Schreiben schreiben. Oft kommen da auch die Erfahrungen mit dem sogenannten Literaturbetrieb zur Sprache. Meist der sehnsüchtige Wunsch nach Anerkennung und Erfolg. Manchmal – seltener – auch der Umgang mit dem überwältigenden Erfolg, z.B.bei Knausgård.

Oft »erfinden« die Autoren ein Alter Ego gleichen Namens. Und schreiben über Bücher, die sie veröffentlicht haben oder veröffentlichen wollen. Das Schreiben nimmt naturgemäß einen großen Raum im Leben einer Schriftstellerin ein. In Isabelle Lehns »Frühling« etwa schreibt eine Autorin »Isabell Lehn« an dem Buch, das der Leser gerade in Händen hält.

Der entblößte Autor?

Dieses Spiel mit den unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen von realem Autor, Autorfigur treibt Thomas Glavinic auf die Spitze. Der Held, oder Antiheld seines Buches ist Schriftsteller, Familienvater, heißt Thomas Glavinic und steht schon im ersten Satz des Buches nackt vor dem Leser. Derartig entblößt will er sich aber selbst nicht anschauen, weil er befürchtet, schlimme Dinge zu sehen. (In diesem Fall Anzeichen für Hodenkrebs) Erst einen Augenblick später kann er einen Blick auf sich selbst nicht vermeiden. Immerhin mit zugekniffenen Augen. Ein programmatischer Einstieg für ein Buch über Selbstbespiegelung.

Ich gehe ins Bad. Bevor ich die Unterhose ausziehe, wende ich mich vom Spiegel ab. Den Kopf starr geradehaltend, damit mein Blick nicht doch noch auf mein Geschlechtsteil fällt, steige ich in die Duschkabine. Beim Rausgehen, als ich den Blick in den Spiegel nicht vermeiden kann, kneife ich die Augen zusammen.

Der nackte, hypochondrische Autor in »Das bin doch ich« hat einen Namen: Thomas Glavinic. Er hat gerade ein Manuskript beendet und fällt nun in ein Schreibloch. Eine für ihn schwer aushaltbare Wartezeit zwischen dem Abschluss eines Manuskripts und der Veröffentlichung. Und das Buch, auf dessen Veröffentlichung er wartet ist »Arbeit der Nacht«. Ein Buch, das der echte Thomas Glavinic ein Jahr zuvor auch bei Hanser veröffentlicht hat. 

Eine Satire?

In dieser Reihe über autobiografisches Schreiben ist deutlich geworden, dass Schreiben über sich selbst auch immer einen Anteil Fiktion mit sich bringt. Das Leben läßt sich nicht eins zu eins abbilden. Goethe unterscheidet schon im Titel seines autobiografischen Textes, in dem er seinen frühen Jahre als ambitionierter Schriftsteller beschreibt »Dichtung und Wahrheit.« Unvermeidlich hat man es immer mit einer Wertung, Interpretation, Auswahl von Ereignissen zu tun. »Übertreiben und Erfinden« nennt es Sasá Stanišić.

Kann es also sein, dass Glavinic einfach maßlos übertreibt, dazuerfindet, die Demütigungen, die soziale Inkompetenz und die Hypochindrie steigert, um sie umso deutlicher und schmerzlicher darzustellen?

Das ist lustig, bis man sich des Fremdschämens für diesen Schriftsteller überdrüssig wird und endlich einmal etwas vom Innenleben des Helden erfahren möchte. Wie fühlt es sich für ihn an, wenn er sich mal wieder »daneben« benommen hat. Ist es kalkulierte Provokation, oder doch eher Angst, dass man nicht hineinpasst.

Namen, Fakten und Details

Der Absurdität der Anekdoten wird entgegengearbeitet, indem möglichst viele Details, »Fakten« und Klarnamen gedropped werden und im Literaturbetrieb bekannte Menschen auftreten. Michael Krüger, Karin Graf, Heinke Hager, Jonathan Safran Foer, Daniel (Kehlmann), Denis Scheck etc pp. auch viele Lokalgrößen der Grazer Szene. Nicht nur in der Literatur eine weit verbreitete Methode, um Glaubwürdigkeit zu erzielen. Je absurder die Lüge, desto stimmiger sollten die bits and pieces sein.

Dadurch stellt sich der Leser nicht die Frage, jedenfalls habe ich das in keiner Rezension gefunden, warum die Romanfigur ein Manuskript fertig schreibt, ohne einen Verlag zu haben. Sollte ein etablierter Autor, der hofft, den Deutsche Buchpreis zu gewinnen, nicht in der Lage sein, über seine renommierte Agentin einen Verlagsvertrag auf Grundlage eines Exposés und einer Leseprobe zu bekommen. 

Also vielleicht eine durch viele »Fakten« beglaubigte ins satirisch, karikaturhafte überzogene Autofiktion?

Authentizität und Lesererwartung

Nicht nur. Man kann auch ein Spiel mit den Realitätsebenen von Texten in das Buch hineinlesen.

Glavinic verarbeitet im Buch immer wieder Texte aus der »realen Welt«, die Authentizität suggerieren, wie etwas Rezensionen im Perlentaucher.

„Bei Perlentaucher lese ich, jemand schreibt in der Süddeutschen, Daniel sei der beste Autor seiner Generation. Ich zucke zusammen. Das bin doch ich!“

In der »realen Welt« dagegen, weist Glavinic immer wieder darauf hin, das die Figur Thomas Glavinic nicht mit dem Autor Thomas Glavinic identisch ist. Das Buch – so steht es auch auf dem Cover – ist ein Roman. Wer das Buch liest, erfährt also nichts, jedenfalls nichts gesichertes über den Schriftsteller. Das wäre also ein Buch über einen Schriftsteller, der nur »zufällig« so heißt wie der Autor des Buchs.

Mag sein, dass das ein Spiel mit den Erwartungen der Leser*Innen nach Authentizität ist. 

In Glavinic neuestem Buch, »Der Jonas-Komplex« liest man, »Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.«

Kommt da nicht zumindest auch noch die Person dazu, die man gern verstecken möchte, die man nicht zeigen möchte, die man nicht sehen möchte. Wir hoffen die ganze Zeit das der Schriftsteller in »Das bin doch ich« einmal die Augen öffnet und in den Spiegel schaut. Und uns erzählt, was er dann sieht. Aber das tut er nicht.

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