Auf der anderen Seite - Traumtexte

#0 Auf der anderen Seite

30. Juni 2021
Auf der anderen Seite

#0 Intro

Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen.
(Heiner Müller)

Es gab keinen Beweis, dass er, wenn er wach war, wach war, und keinen Beweis, dass er, wenn er träumte, träumte.
(Werner Herzog)

Es ist mir egal, ob ich träumte, was ich erlebte, oder ob ich erlebte, was nur geträumt war. Mögen andere ihre Träume für minderwertig halten gegen das Tagesbewusstsein. Ich aber werde die Wirklichkeit so lange mit meinen Träumen betrügen … bis sie selbst zum Traum mutiert.
(Anna Baar)

Auf der anderen Seite ist eine Sammlung von Traumtexten.
Grundlage dieser Texte sind Träume, die ich nachts —oft im Dunkeln— unmittelbar, nachdem ich bemerke, dass ich träume, mit dem Bleistift in ein bereit liegendes Notizheft skizziere und dann an einem der nächsten Tage am Rechner aufschreibe.

Die Traumtexte sind gewissermaßen eine Erweiterung meiner Autofictional Shorts. Auch hier geht es um die Frage des Verhältnisses von Erinnerung und Text.
Wir wissen, dass sich Erinnerung ständig umformt, immer wieder neu geschaffen wird. Es ist keine Frage, ob wir etwas falsch erinnern, sondern nur die Frage wie.
Und wir alle wissen, wie schwer es ist, einen Traum zu erinnern, geschweige denn, ihn wiederzugeben.

Aber auch durch das mündliche Erzählen selbst werden wir einen Traum unweigerlich verändern, einfach weil wir ihn in ein anderes Medium, die Sprache, übersetzen. Noch viel mehr gilt das für einen geschriebenen Text. Da, wo im Traum Dinge gleichzeitig geschehen, realisiert sich ein Text beim Schreiben, Lesen oder Hören in einer zeitlichen Abfolge, in einem Nacheinander. Träume haben eine grundandere Zeitstruktur als eine geschriebener Text. Das Gleiche gilt für räumliche Doppeldeutigkeiten und Inkonsistenzen, eine Traumdramaturgie, die nicht den gängigen Erwartungen an eine Erzählung entspricht und nicht zuletzt, für Protagonisten und Erzählerfiguren, die in multiplen Perspektiven gleichzeitig vorkommen können.

Mir geht es also beim Aufschreiben der Traumtexte weder um Selbstanalyse noch um die Deutung der Träume. Es geht mir einzig um die Wirklichkeit der Bilder, die in der sprachlichen Fassung aus der Erinnerung entstehen, um die Erweiterung der Realität durch eine neue Wirklichkeit.

Hin und wieder sind den Texten Fotos von Skizzen beigegeben, die ich nachts —oft auch im Dunkeln oder mit geschlossenen Augen— gezeichnet habe.


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