Auf der anderen Seite - Traumtexte

#18 Kino

26. Januar 2022

Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen.
(Heiner Müller)

Intro und Textverzeichnis


 #18 Kino

Was war das für ein Film, der Abspann läuft noch über den roten Vorhang. Wieso ist der Vorhang schon zu.
Es sind die Windfangvorhänge im Eingangsbereich des Restaurants, in dem ich nach dem Film mit (fremden, halbfremden, irgendwann schon mal gesehenen) Menschen sitze und über den Film rede, an den ich mich gar nicht erinnern kann, den ich vielleicht gar nicht gesehen habe.
Da geht im Hintergrund jemand eine historische Gusseisenwendeltreppe hoch. Ich höre aus dem off die Stimme, bevor ich jemanden sehe. Ich erkenne die Stimme. Robs Stimme, ach ja er ist ja Schauspieler (ist er nicht).
Die Kamera fährt mit zitternden Bildern hoch durch den engen runden Treppenturm, während am unteren Bildrand Robs Efeu umrankter Kopf erscheint. Ein Lorbeerkranz aus wucherndem Efeu? Oder der Klammergriff der Schmarotzerpflanze, die schon vom absterbenden Körper Besitz ergriffen hat. Ein unentdeckter Parallelfilm zu Wegeners Golem? Vielleicht.
Stufe für Stufe umrundet Rob langsam die Treppenspindel. Haare quellen unter dem Efeu hervor. Fallen ihm auf die Schultern des weiten Mantels. Das Gesicht im verlorenen Profil und mit Rasierschaum bedeckt, ist fast nicht zu erkennen. Nein, es ist gar nicht zu erkennen. Es ist eine kleine, sehr kleine Rolle in einem blassblau nachkolorierten Stummfilm. Vielleicht die einzige Szene mit ihm. Aber Rob redet theatralisch, ohne Ton. Ich erkenne ihn an seiner Stimme, die nur ich höre. Für alle anderen bleibt er ein namenloser Statist. Und er hustet nicht. Wenn er spielt, hustet er also nicht.
Nur für mich wird dieser Ausschnitt hier ins Leere projiziert, während ich mich gleichzeitig mit den fremden Filmleuten hier am Tisch über den Film unterhalte, den ich nicht gesehen habe und höre wie ich gerade sage, dass ich die Dialoge so irre fand. Der Film war auf dänisch oder schwedisch. So ein toller Dialekt. Ja der Berner Dialekt ist schon besonders, gerade im Film. Schweiz, Schweden egal. Eine Frau steigt darauf ein: Ja, besonders die Stelle, wo sie sagt … aber auch bis dahin hatte ich den Film nicht gesehen. Wohl nur die ersten zwanzig Minuten, aber die Stelle, die sie meint, war gleich am Anfang, also war ich wohl noch viel kürzer im Kino. Oder wach.

Jetzt erinnere ich mich im Traum, dass ich vorher geträumt habe, mit mehreren Leuten auf Rollern, Fahrrädern und/oder meinem Motorrad durch warmen, gelb-blauen Bladerunner-Regen durch die Stadt gefahren, geirrt zu sein, über vereiste Brücken, an nutzlos blinkenden Ampeln vorbei, über Straßenbahngleise und durch Unterführungen. Bis dann da das Kino war, das wir gar nicht gesucht hatten.

Das Kino als Möglichkeit, als Ruhe.

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