Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen.
(Heiner Müller)
#30 Der Kampf
Das Essen ist vorbei. Ich gehe in den Nebenraum, obwohl ich weiß, was mich dort erwartet. Nein ich weiß es nicht, aber ich erwarte es. Nicht die endlose Prozession zu Kohle gepresster Wesen.
Gefährlich steht er vor mir. Dreht sich langsam zu mir um. Schaut auf mich herab. Eine Figur, aus Staub, Spucke und Gespinsten, wie Adam, die Mönche, die Wanderer im Nebelmeer? Im Dunkeln glüht sein Vorschlaghammer, Thors Hammer, den ich erst jetzt bemerke. Dann habe ich auch einen Hammer in der Hand, einen viel kleineren, leichteren. Er schlägt nach mir. Ansatzlos, ohne auszuholen. Ich weiche aus. Versuche, ihn zu treffen. Er leuchtet blau, hellblau leuchtet es aus ihm heraus.
Ich schlage auf das Knie, die allermeisten Schläge treffen. Es knackt. Er schaut kurz runter. Da geht mein Schlag hart an seinen Kopf. Keine Wirkung. Der Hammer ist zu leicht. Ich beuge mich zurück. Er schlägt daneben, trifft mich leicht am Oberarm. An meiner Schläfe rutscht sein Hammer aus. Schrammt oder brennt die Haut der Schläfe weg. Es blutet. Ich sehe noch gut, es läuft nichts in die Augen. Ich schlage ihn ins Gesicht, versuche ein Auge zu treffen, treffe. Auch das andere. Er sieht nichts mehr. Ich schlage ihm den Hammer aus der Hand. Jetzt ist die Hand ein langes Sichelmesser. Er wirbelt herum, stich, hackt nach mir, blind schlägt er um sich, verliert das Messer beim Danebenhauen. Ich habe Angst, dass er es wiederfindet. Dann durchfährt mich etwas. Ich erkenne es sofort, weiß, dass es funktionieren wird. Die Idee ist schon ausgeführt, als ich sie erkenne. Ich bin Bildhauer, wie konnte ich das vergessen, und schlage ihm die Hände in den Arm zurück. Finger, für Finger, den Daumen zuerst. Das Messer, an der anderen Hand schneide ich die Finger zu Kegelstümpfen. Schlage sie dann auch in den Handrücken zu einer flachen fingerlosen Teddyhand.
Die Arme drücke ich in die Schultermuskeln. Ich hebe ihn hoch, er schlägt und strampelt.
Dann wird er ruhig. Ich trage den Torso aus der Kampfzelle heraus in den Gang, den Stollen. Ah, wir sind unter Tage? Er ist schwer. Ich kann kaum laufen. Wuchte den schweren, schwach hellblau leuchtenden Tonklumpenleichnam vor mir her. Er windet sich noch ein letztes Mal. Ich hab ihn fest. Er strahlt opak von innen. Ich drehe ihn um, trage ihn an den Löchern im Rumpf, wo mal die Beine waren. Der Kopf hängt herunter, nein, den Kopf gibt es gar nicht mehr. Auch er ist zurückgeschmiedet zu einer kleinen Beule auf den Schultern. War ich das mit dem kleinen Hammer? Im Stollen kommen mir vier Männer entgegen. Kumpel. Freunde. Bleiben in einem Abstand vor mir stehen. Sie erkennen nicht, was sie da sehen. Erst allmählich wird es ihnen klar. Einem nach dem anderen. An ihren verzerrten, entsetzten Grimassen, ihrem ungefilterten Entsetzen, sehe ich, was da gerade geschehen ist.
Ich schreie Rotz. Blutige Spucke fliegt mir aus dem Mund, Tränen, Wasser. Ich habe es getan! Ich kreische fast. Der Schrei, der Satz war nötig. Ich habe es getan! Erst jetzt wird er in zwei Tagen für immer im Dunkeln verschwinden. Mein bester Freund, mein einziger.
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