Rezension

„Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“ von Usama Al Shahmani

1. Dezember 2022
Rezension Birgit Birnbacher
„Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“ von Usama Al Shahmani

„Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“ von Usama Al Shahmani. Das sage ich nicht oft, aber dieses Buch. hat mich komplett überrascht. Positiv. Ein schmales Buch, 179 Seiten, ein Buch, von dem ich dachte, dass ich es schnell mal runterlesen werde. Aber das funktionierte überhaupt nicht.

Die Sprache ist einfach, archaisch und am Anfang habe ich mich gefragt, warum die Übersetzer:in das alles nicht runder gemacht hat? Bis mir klar wurde, dass der Autor dieses Buch (er lebt seit 20 Jahren in der Schweiz) in Deutsch geschrieben hat. Einem Deutsch, dem man seine Muttersprache (das Arabische), auf eine ganz besondere Weise anmerkt. Ich lerne gerade Arabisch und weiß, dass selbst Araber:innen diese Sprache als „unlernbar“ bezeichnen. Hochkomplex und sehr poetisch und wie alle Sprachen, mit einem eigenen Kontext, Bildern und Bezügen ausgestattet. Al Shahmani hat es auf erstaunliche Weise geschafft, das Arabisch in das Deutsche einzubetten. Das klingt etwas mystisch, doch genauso ging es mir mit der Handlung. Eine einfach erzählte Geschichte, die leidvoll und hoffnungsvoll zugleich ist. Eine Symbiose aus zwei Sichtweisen. Ich denke, dass es auch deshalb so gut gelingt, da viel von Al Shmanis Leben in diese Geschichte eingeflossen ist, die sehr stark an seine eigenen Erlebnisse – die Flucht aus dem Irak als Intellektueller in die Schweiz – enthält.

Sprache

Doch es ist weniger die Geschichte, die er uns erzählt, die mich gefesselt hat, es ist die Art und Weise, wie er sie erzählt. Der Umgang mit der Sprache.

Gleich am Anfang fiel mir eine Textpassage auf:

„Vor dem Schlafengehen schreibt er Wörter auf klei­ne Zettel und lässt sie auf dem Tisch liegen. «Bleibt hier und versucht, tief einzuatmen», sagt er zu ihnen und geht zu Bett. Einige der Wörter haben Angst vor dem Alleinsein, sie beginnen zu zittern. Anderen gefällt die Stille, und sie freuen sich, im Dunkeln auf dem Tisch aus Nussbaumholz zu liegen. Dann begin­nen sie zu tanzen und versuchen, einen dünnen Licht­ faden für diejenigen zu flechten, die Angst haben. Manchmal legt er eines von ihnen unter sein Kopf­kissen und hofft, dass es sich in seinen Traum schleicht. “ (S. 7)

Zum einen mag ich die Vorstellung, dass Wörter lebendig werden. Nicht das, was gesagt wird, sondern die Wörter selbst haben ein Leben, atmen. Und dann die Art, wie er diese Situation für die Leser:in beschreibt: In anderen Texten würde eine solche Situation sprachlich vielleicht durch einen Wie- oder Als ob-Vergleich gelöst werden. „Die Blätter lagen auf dem Tisch, wie lebende Wesen, die atmen können … “ „Es kam mir vor, als ob die Wörter lebende Wesen waren, die tanzenden könnten“. Es sind sprachlich Wendungen die mir in Texten meist eher Unbehagen bereiten. Als müsste eine zweite Erlebnisebene aufgemacht werden, um das gerade Gelesene zu intensivieren. Bei Al Shahmani tritt man ohne irgendeine Vorwarnung oder Einleitung in diese neue Welt ein, die neue Sichtweise, eine magische Welt, die nicht mit der realen Welt oder Wahrnehmung verglichen oder abgeglichen werden muss. Sie ist einfach da.

Dieses Nebeneinander von poetisch-mystischer Weltsicht und der als sehr bedrückend beschriebenen Realität der Hauptperson, hat mir besonders gut gefallen. Ohne es ausdrücklich zu erzählen, wird hier der Konflikt des Protagonisten deutlich gemacht.

"Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt" von Usama Al ShahmaniInhalt

Klappentext des Verlages: „Dafer Schiehan hat es geschafft. Trotz negativen Asylbescheids hat er Deutsch gelernt, eine Arbeit gefunden, eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Er hat eine kleine Wohnung am Rande von Weinfelden und eine Arbeit in Kreuzlingen als Tellerwäscher. Aber eigentlich ist er Akademiker. Eigentlich ist er ein politischer Flüchtling, geflohen vor Saddams Schergen wegen eines missliebigen Theaterstücks. Hals über Kopf geflohen, mit der finanziellen Unterstützung seiner Familie. Als der Betrieb ihm Ferien verordnet wegen Umbaus, sitzt er in seiner Wohnung, schaut aus dem Fenster und grübelt. Seinen Eltern hat er nie gesagt, was er arbeitet. Auch als er es nicht mehr ausgehalten hat in seinem Exil und zurückgereist ist zu seiner Familie in den Irak, ist er im Vagen geblieben. Warum hat er ein schlechtes Gewissen? Wovor hat er Angst? Wie soll es weitergehen? Auf der Flucht vor seiner inneren Unruhe findet er sich wieder im Wald.“ (Quelle)

Es ist eigentlich schade, dass der Klappentext die Besonderheit des Textes überhaupt nicht einfangen kann. Das, was als „vage“ bezeichnet wird, ist keine äußerliche Unentschiedenheit, weder von Protagonisten, noch vom Autor, sondern der Anlass für diese Geschichte. Der Verlust der Identität, die Identitätslosigkeit in der neuen Heimat, die eine Fremde ist. Mit fremder Sprache und Religion, mit einem anderen Umgang, anderem Miteinander und Regeln. In der Fremde erscheinen Dinge vage, unsicher, machen keinen Sinn mehr.

Al Shamani gelingt es, mir dieses Gefühl des Verlustes von etwas, dass im Iran bedroht war (die künstlerische Freiheit, das Denken, der Zweifel, das Hinterfragen), aber auch in der neuen Heimat nicht sofort zu finden ist, so nah zu bringen, dass ich es spüren kann. Mehr spüren als intellektuell verstehen.

„Plötzlich standen ihm Bilder und Fragmente seines beschädigten Lebens im Irak vor Augen. Er hatte die schönsten Jahre seines Lebens unter der Last des Krieges vergeudet, aber er hätte nie gedacht, dass die härtestenTage in Bagdad ihm eines Tages besser erscheinen würden als diese hier in Europa.“ (S. 83)

Deutsch-Arabisch

Wie macht man Assimilation, Einbürgerung, Fremde und alte Heimat in einem Text deutlich? Shahmani erzählt von Dafers Flucht aus dem Irak, aber es sind nicht die Tatsachen, die Geschichte der Flucht oder Einbürgerung in  der Schweiz, die mir das Gefühl von Verlust vermitteln, sondern der Umgang eines seit zwanzig Jahren in der Schweiz lebenden Arabers/Irakers mit der deutschen Sprache. Es ist ein besonderes Deutsch, das arabische Wurzeln hat und so eine eigene Mischung ergibt. Archaisch, brüchig, einfach und in ihren magischen Bildern dann wieder extrem stark und – auch ein wenig fremd für europäische Leser:innen.

„Wenn du das Gefühl hast, deine Tage gleichen sich alle und deine Zeit sei an einem Ort hängen geblieben, dann musst du dir einen Fluss suchen, dich an sein Ufer setzen und das Wasser betrachten. Du wirst merken, wie deine Zeit eine neue Richtung findet und wie dein Leben beweglich wird.“ (S. 50)

Shahmani schreibt Gedichte weiterhin nur auf Arabisch. In einem Interview sagt er, dass er sie nicht auf Deutsch schreiben könnte, weil er dann das Gefühl hat, seine Muttersprache zu verraten. Aber er kann Romane in Deutsch schreiben, die etwas ganz eigenes haben, was keine Übersetzung einfangen könnte. Kein Mittelsmann, der von Arabisch nach Deutsch übersetzt, sondern der Autor selbst, der sein eigenes Deutsch benutzt.

Seit der Flucht von Shahmani 2002 aus dem Irak hat sich an der Situation dort nicht viel verbessert, seit über zehn Jahren herrscht Krieg und Terror im Irak. Die militante Gruppe Islamischer Staat (IS) kontrolliert immer größere Teile des Nordirak und dehnt ihren Feldzug ins gesamte Kurdengebiet aus. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht. Und kommen hier in Europa an. Und das ist gut so und es ist wichtig, dass wir verstehen, dass diese Menschen ihre eigene Kultur mit ihrer Sprache und ihren Wurzeln mitbringen und eine Assimilation große Energie und sehr viel Sensibilität vom Gastland erfordert. Auch dazu trägt Shahmanis Roman auf eine leise Art bei. Für mich war der Roman eine große Bereicherung.

Ich danke dem Limmat-Verlag/re-book für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Usama Al Shahmani

Usama Al Shahmani, geboren 1971 in Bagdad und aufgewachsen in Qalat Sukar (Nasirija), hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert. Er publizierte drei Bücher über arabische Literatur, bevor er 2002 wegen eines Theaterstücks fliehen musste und in die Schweiz kam.

Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt (Roman)

Limmat Verlag

176 Seiten
August 2022

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