Mindful reading
Wie meint ihr das: Mindful reading? Nun, kurz nach dem Welttag des Buches, dem Tag, an dem die Rechte der Autoren, die Bücher und das Lesen gefeiert werden, möchten wir ein paar Gedanken über das Lesen mit euch teilen. Etwas, das uns schon lange auffällt, manchmal ärgert, manchmal einfach nur verwundert und in letzter Zeit ganz oft nachdenklich macht.
Hinzufügen wollen wir – als jahrelanger Verteidiger der Buchblogger-Community – nun doch auch ein paar kritische Gedanken zu den SUBs und Lesegeschwindigkeiten und der Buchauswahl einiger Buchblogger.
Hauptsache lesen?
Lesen ist eine kulturelle Errungenschaft. Ganz klar! Ein Kommunikations- und Verständigungssystem, etwas, das uns – genau wie Schreiben – mit den Grundfähigkeiten ausstattet, in unserer Gesellschaft zu arbeiten, zu kommunizieren, zu leben. Aus diesem Grund lernen wir Lesen und Schreiben schon in der 1. Klasse. Da es in unserem Land immer noch Analphabeten und Kinder mit Leseschwächen gibt, ist es wichtig, die Bedeutung des Lesens immer wieder zu betonen. Okay, da sind wir gerne dabei.
Doch in letzter Zeit wird immer öfter so getan, als ob es ganz gleichgültig wäre, WAS gelesen wird. Lesen ist mit einem SEHR WERTVOLL-Label ausgestattet, das uns immer öfter darüber hinwegsehen lässt, dass es da draußen auch eine Menge Schund gibt, der keinesfalls wert ist, gelesen zu werden. Denn er bildet nicht und trägt auch nicht zu einer besseren Kommunikation bei. Ganz im Gegenteil, man kann schon sagen, er verblödet. Denn für jeden dieser Trivialromane, wird ein gutes Buch weniger gelesen. Ein Leseslot mit etwas anderem als Literatur/guter Unterhaltung/Bildung/ gefüllt.
Wobei – schon klar – ganze viele Bücher sollen gar nicht bilden oder den Geist erheben. Sie sind … einfach nur zur Unterhaltung und Ablenkung gedacht.
Entertain me!
Trivialliteratur und Heft- und Groschenromane hat es immer gegeben. Leichte Unterhaltung, die nicht fordert, denn meist sind die Geschichten schablonenhaft einfach, voller Klischees und ohne intellektuelle oder psychologische Tiefe. Macht nichts. Jedem sein Vergnügen. Was lesen wir auf Buchblogs: „Wenn ich lese, will ich mein Gehirn abschalten.“ Und ja, mit vielen dieser Trivialromane kann man das ganz wunderbar.
Neu ist allerdings, dass diese Bücher auf einmal auf Buchtischen in Buchhandlungen, in Hardcover und mit Glanzaufmachung auftauchen. Neu ist, dass Verlage die Scheu davor verloren haben, den größten Mist zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, statt wie früher verschämt als Groschenheft in die Zeitungskioske zu stellen. Und neu ist leider auch, dass diese Bücher mit genau den gleichen Sternchen, Herzchen, oder Teddybärchen von Buchbloggern bewertet werden wie große Literatur.
Schnell mal geschrieben
Trivialliteratur – das war schon immer eine große Industrie. Autoren haben unter Pseudonym massenhaft sehr einfach gestrickte Geschichten produziert. Egal ob Krimi, Science Fiction oder Liebesromane, das ging schnell, denn es gab eine Schablone, ein Schema: Der reiche Arzt trifft die unschuldige Schwester, der reiche Geschäftsmann die naive Sekretärin. Und zwar immer und immer wieder. In dieser Art Geschichten ist weder echte Emanzipation vorgesehen noch Entwicklung. Und am Ende – steht jedes Mal das Happy End.
Die Autoren von Heft- oder Trivialromanen haben übrigens schon immer gut verdient. Erstens, weil sie schnell geschrieben haben, und zweitens, weil sich diese Geschichten zu allen Zeiten gut verkauft haben.
Mit dem Selfpublishing haben sich nun vor allem die sonst im verborgenen und unter Pseudonym arbeitenden AutorInnen dieser Gebrauchsliteratur massiv emanzipiert. Auf einmal können sie ohne Verlag schreiben und noch viel mehr verdienen. Und da sie wissen, was das Massenpublikum will, verkaufen sie wie verrückt. Juhu. Das ist keine Ironie. Rein wirtschaftlich betrachtet ist das eine tolle Entwicklung für die Autoren und ihre Rechte.
Buchblogger
Sie sehen sich selbst als Botschafter des Buches. Sie sind schon deshalb gute und bessere Menschen, weil sie lesen. Sie haben Slogans und Merksprüche und jeder einzelne sagt: Wir sind keine Nerds, wir sind cool, denn wir lesen.
Wir wollen hier nicht alle Buchblogger in einen Topf werfen. Viele sind Botschafter der Literatur und fördern das Lesen. Doch dieser Anteil wird immer kleiner. Stattdessen tauchen immer mehr Buchblogger auf, für die ein Buch nicht anderes ist als ein neuer Nagellack, ein Kleidungsstück oder ein Cupcake. Etwas, das man auf jeden Fall in großer Anzahl besitzen muss, das einen besser aussehen lassen soll, das man schnell und mit Genuss verspeisen können möchte.
Verlage
Wir wollen hier auch nicht alle Verlage in einen Topf werfen, aber seien wir ehrlich: Für die meisten sind Bücher ein Geschäft. Heißt: Je mehr sie verkaufen, desto besser. Wundert es einen, dass es die Heftchenroman-Inhalte sind, die sich am besten und in großer Stückzahl verkaufen? Nein. Denn sie lesen sich schnell und haben übersüßen, unterhaltsamen Inhalt. Gute geistige Ernährung? Fehlanzeige.
Ironischerweise habe es gerade die Selfpublisher den Verlagen vorgemacht und gezeigt: Hey, erinnert euch, es gibt massenhaft Leute, die billige Unterhaltung wollen! Neueste Erkenntnis: Sie zahlen sogar richtig viel Geld dafür, wenn ihr die Inhalte in einen glitzernden Umschlag steckt und mit großen Werbeplakaten als Spitzenprodukte bewerbt.
Juhu!, sagen die Verlage. Wir werden reich, ohne nach großartigen und anspruchsvollen Autoren suchen zu müssen. Ohne überhaupt Wert auf einen guten Inhalt zu legen. Ja … und war da nicht noch was?
Lesen bildet?
Wer erinnert sich, dass Bücher als Kulturprodukte gelten und daher nur mit 7 % Mehrwertsteuer besteuert werden? Dieses Siegel haben der Großteil der Bücher aber schon lange nicht mehr verdient. Es ist keine Kultur, bloß weil Buch draufsteht. Im Gegenteil. Viele intelligente Apps und Computerspiele verdienen mittlerweile sehr viel eher das Prädikat Kultur und wertvoll.
Das Dilemma
- Wenn Autoren erfolgreich sein wollen, müssen sie schnell und viel schreiben. Dafür müssen sie die Inhalte auf einfache Botschaften mit süßen und leicht verdaulichen Inhalten herunterbrechen.
- Damit Buchblogger weiter umsonst Rezensionsexemplare von Verlagen bekommen, müssen sie schnell lesen und die Bücher sofort und am besten gut bewerten. Je einfacher ein Buch geschrieben ist, desto schneller und einfacher kann es gelesen werden. Und meist gibt es genau dafür dann die 5 Herzchen, Sternchen oder Teddybären.
- Damit Verlage gut verdienen, müssen sie viele Bücher mit leichten und leicht verdaulichen Inhalten herausbringen.
- Die meisten LeserInnen sehen Bücher als Unterhaltung an. Sie wollen ihr Gehirn beim Lesen abschalten und unterhalten werden.
Also sind alle zufrieden, oder?
Read less, read better – Mindful reading
Nun, vielleicht sind wir die Einzigen, die mit dieser Entwicklung ein kleines Problem haben. Vielleicht Spielverderber, weil wir nicht mitlächeln, wenn bestimmte Bücher hochgelobt werden, die in unseren Augen tatsächlich nicht mehr als ein Heftchenroman sind und immer öfter flache und vereinfachte Botschaften enthalten.
Doch wir wollen wir es zumindest einmal ganz deutlich sagen: Wenn es heißt: LEST MEHR, dann sagen wir: LEST WENIGER und BESSER.
17 Comments
InaVainohullu
25. April 2017 at 06:54Guten Morgen ihr Lieben,
Das ist ein höchst interessanter Artikel, der mich gerade über mein eigenes Leseverhalten nachdenken lässt.
Und darüber was ich jetzt als Kultur oder doch eher als schnelle Unterhaltung bezeichnen würde. Damit habt ihr mich ein wenig verunsichert, denn manchmal ist die Grenze da doch fast ein wenig schmal.
Hängt ja vielleicht auch mit den einzelnen Geschmäckern zusammen.
Aber ich muss euch auch Recht geben. Besonders im Bereich der Jugendliteratur, die wie ihr sehr gut wisst mein Steckenpferd ist, fällt mir immer häufiger auf, das wirklich GUTE Bücher oft total unbekannt sind oder sich nicht so gut verkaufen, wie der ganze „schnell geschriebene“ Mainstreamkram. Den les ich auch gerne, steh ich zu. Aber am meisten reizen mich dann doch die „Nischenbücher“, die ich durchaus als Kultur bezeichnen würde ( Beispiel: Königskinder oder Aktuell auch die Jugendliteraturpreis-Nominierungen ).
Schnell muss es zu lesen sein….die Aussage hab ich auch schon oft gehört und gerade als Bloggerin ertappte ich mich häufig selbst bei dem Gedanken. Weil man hat ja eigentlich gar keine Zeit und so weiter. Dabei sollte man Geschichten doch genießen und würdigen.
Mittlerweile sortiere ich vor ? Ich wähle schon beim „Auf-die-Wunschliste“ packen aus ob mich ein Buch und seine Thematik WIRKLICH interessiert. Ich habe es also längst aufgegeben, ALLES was gerade HIP ist, lesen zu wollen. Und auch dieses Getue um dieses „Ich hab diesen Monat so und so viele Bücher gelesen“ geht mir schon seit einer Weile auf den Geist.
Muss man denn im Monat 30 Bücher gelesen haben? Reichen nicht auch 10, die dafür besser gewählt sind?!
Ich schweife ab….in vielen vielen Punkten muss ich Euch wirklich Recht geben.
Meinen „Schund“ les ich trotzdem zwischendurch ? Manchmal braucht man dann ja doch einfach nur Zerstreuung, aber beim Satz READ LESS, READ BETTER bin ich ganz bei Euch.
Liebe Grüße Ina
Redbug Team
25. April 2017 at 14:38Hi Ina,
erstmal danke für den Mut und die Energie, hier zu kommentieren und deine Meinung zu äußern.
Die #KÖKI-Aktion von euch Bloggern finden wir gut! Aber auch hier sind wir nachdenklich. Ist das wirklich eine Lösung?
Denn die Königskinder kann man nicht ohne Carlsen sehen. Carlsen „leistet“ sich die Königskinder. Barbara König könnte die KÖKI Bücher nicht mit so guten/teueren Covern und guter Aufmachung herausbringen, wenn sie diese mit den eigenen Einnahmen aus Buchverkäufen finanzieren müsste. Kurz: Sie verkauft viel zu wenig Bücher für das Geld, dass ihre Buchproduktion kostet.
Wenn also Carlsen beschließt, dass die Königskinder nicht mehr rentabel sind, dann endet dieses Projekt.
Sehr wahrscheinlich würde Königskinder überhaupt nicht klappen, wenn die Inhalte nur als E-Book und nicht mit so viel wertigem Aufwand bei Cover/Druck/Umschlag/Werbung produziert würden.
Eine geschickte Sache, die Leser mit edeler Aufmachung für die Inhalte zu gewinnen. Aber ist das ein Konzept für die Zukunft?
Und sollte nicht auch ein Buch sich seine Aufmachung erst verdienen müssen und erst dann in Luxusaufmachung erscheinen, wenn es sich über Jahre bei den Lesern bewährt hat?
Auch eine schöne Aktion mit den Jugendliteraturpreis-Büchern!
Aber ist dir aufgefallen, dass es immer bestimmte Verlage sind, aus denen die Preisträger ausgewählt werden? Wie sehr klein die Jury ist und wie wenig sie mit der Realität der Lese-Community zu tun hat? Dass bestimmte Autoren immer wieder nominiert werden und – nur mal so – J.K. Rowling noch Cornelia Funke zwar nominiert waren, aber nie einen Jugendliteraturpreis gewonnen haben? Autorinnen, die so viel für die Lesewelt, die Leser und das Buchgeschft getan und vollbracht haben.
Denn eigentlich hat es J.K. Rowling doch absolut richtig gemacht: Ein sehr gutes – auch sprachlich herausragendes – Buch zu schreiben, das Millionen von Lesern begeistert (okay, Fanmoment!).
Und jetzt schweife ich wohl etwas ab …
Ich denke, wir werden hier noch öfter über diese Themen diskutieren.
Juhu, schön, dass du dabei bist!
All the best
Katrin
Ja InaVainohullu
25. April 2017 at 16:30Stimmt, so hab ichs in der Tat noch nicht gesehen. Das wäre gerade was die Königskinder betrifft unglaublich traurig. Weil sie inhaltlich wirklich ganz großartig sind. Ein guter Punkt ist die Aufmachung. Ja,wenn die nicht auch so genial wäre, würden vielleicht noch weniger Leute die Bücher kaufen. Ach das ist doch alles doof. Echt mal.
Ich verstehe natürlich den Kern der Sache und muss euch wirklich Recht geben. Es kst interessant das mal von einer anderen Warte aus zu beobachten, weil mir das jetzt auch mit dem Jugendliteraturpreis so nicht aufgefallen wäre. Was ja wiederum auch nicht heißt, das Bücher aus größeren Verlagen schlecht waren… Naja und so weiter. Da kann man sich selbst ganz schön verwirren.
Fakt ist und da sind wir uns wohl einig, das es zu viele herausragende Bücher gibt, die übersehen werden, weil es zu viel Kram gibt, den eigentlich keiner braucht :)
Liebe Grüße Ina
Redbug Team
25. April 2017 at 17:41Jep!
Und wir brauchen definitiv mehr reflektierte BuchbloggerInnen und LeserInnen wie dich, die sich Gedanken machen.
Birgit
28. April 2017 at 21:18Mann, habt Ihr mir aus der Seele geschrieben… Ich möchte die meisten Geschichten genießen und die Wortwahl, Charaktere und Atmosphäre richtig würdigen. Daher komme ich nicht mal auf 10 Bücher pro Monat, aber mir geht es auch nicht um Quantität oder einen Vergleich mit anderen, die das Vielfache davon runterreißen. Eine amerikanische Freundin kann sich am Ende des Monats nicht mehr erinnern, was sie nur 4 Wochen zuvor gelesen hat. Das liegt mir persönlich nicht. So mancher Charakter wird für mich zum Freund, der mich noch Jahre danach begleitet, inspiriert und prägt.
Danke für den tollen Artikel!
Liebe Grüße,
Birgit
Redbug Team
29. April 2017 at 14:00Ahhh! Ja. Solche Leser wünscht man sich.
Ja, es ist seltsam, dass es in der Buchcommunity immer noch so bejubelt wird, wenn man (zu)viel liest. Das kommt uns so vor, als würde man einen Übergewichtigen ermuntern, noch mehr zu essen. Wozu? Was nicht gut verdaut wird, kann ja weder dem Körper noch dem Geist nützen.
Danke, für deinen Kommentar!
nomadenseele
7. Mai 2017 at 15:00* Eine amerikanische Freundin kann sich am Ende des Monats nicht mehr erinnern, was sie nur 4 Wochen zuvor gelesen hat. Das liegt mir persönlich nicht. So mancher Charakter wird für mich zum Freund, der mich noch Jahre danach begleitet, inspiriert und prägt. *
Geht mir auch oft so. Ganz einfach, weil die Bücher so austauschbar geworden sind, gerade bei der Trivialliteratur. Gute Bücher behalte ich auch länger im Gedächnis.
Jan Holmes
3. Mai 2017 at 10:58Ein weiteres Dilemma an der beschriebenen Entwicklung stellt sich für Autoren dar, die den Bedarf nach leicht verdaulichen Inhalten *nicht* bedienen. Bei Verlagen bestehen für ihre Geschichten kaum Chancen, weil keine bekannten und leicht verkäuflichen Genres bedient werden, bringen sie ihre Werke als Self Publisher heraus (um überhaupt jemanden zu erreichen), fallen sie bei den Lesern durch, weil diese nur leichte Kost gewöhnt sind und Bücher zerreißen, die diesem (nicht vorhandenen) Anspruch nicht gerecht werden, sondern eher sperrige Inhalte vermitteln, vielleicht kein zuckersüßes Happy End bieten oder es ggf. sogar wagen, sprachlich etwas mehr zu bieten als Grundschulniveau. So sehr das Self Publishing auch ein Segen für Autoren sein kann, ist die Massenware, die dadurch auf den Markt geschwemmt wird, ein Fluch für die Literatur an sich, deren Wertschätzung gefühlt immer mehr abnimmt.
1000x zitiert, immer wieder passend. Aus einem Brief von Franz Kafka:
“Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”
Redbug Team
3. Mai 2017 at 13:08Hi Jan,
„sprachlich etwas mehr zu bieten als Grundschulniveau“. Ja, leider hat man das Gefühl, weniger guter Schreib- und Sprachstil ist erfolgreicher. Und das gute Schreiben wird ein pro bono Job. Wir sagen mal ganz selbstbewusst: Lasst uns das ändern! In diesem Sinne auch danke für den Kommentar und das schöne Zitat von Kafka. Interessanterweise findet man den letzten Satz überall auf Buchblogs – aber er macht eben nur im Kontext Sinn.
Mikka Gottstein
6. Mai 2017 at 22:24Huhu!
Obwohl ich euch grundsätzlich zustimme, dass es auch eine Menge Schund da draußen gibt, ist für mich die Frage: kann man wirklich pauschal bestimmen, ob ein Buch es wert ist, gelesen zu werden? Denn während ihr mich zum Beispiel mit „Fifty Shades of Grey“ rund um den Block jagen könnt (habe es gelesen, fand es grauenhaft schlecht), würde ein Fan des Buches vielleicht sagen: mir hat es Spaß gemacht, ergo war es das wert.
Es kommt darauf an, wie man „Wert“ definiert, was man sozusagen in die andere Waagschale wirft: Bildung? Unterhaltung? Weltflucht? Große Emotionen?
Viele Leser erwarten gar keine Bildung, keinen Mehrwert, keinen Tiefgang. Oder jedenfalls nicht immer. Und die Sache ist die: das ist zwar schade, aber oft ist die Entscheidung nicht die zwischen Trivialroman und gutem Buch, sondern die zwischen Trivialroman und gar keinem Buch.
Aber ich bin auch immer mal wieder erstaunt, was eigentlich renommierte Verlage alles veröffentlichen. Da gilt dann eben doch: Alles geht, solange es sich verkauft. Und ja, ich bin ebenfalls perplex, wenn auf ein solches Buch dann ein wahrer Sternschnuppenhagel niedergeht.
Ich habe durchaus den Anspruch an mich selber, eine Botschafterin für das Buch zu sein. Aber für mich haben auch weniger anspruchsvolle Bücher eine gewisse Daseinsberechtigung – das ist für mich wie Spinat und Schokoriegel. Das eine ist gut für dich, das andere macht dich kurzfristig glücklich und man sollte es damit nicht übertreiben.
Aber, Rezensionsexemplar oder nicht, ich scheue mich nicht davor, einem Buch (deutlich) weniger als 5 Sterne zu geben, wenn es mich nicht überzeugt. Und meine Erfahrung ist, dass ein guter Verlag damit auch keine Probleme hat.
Allerdings habe ich auch an ein Buch zum Abschalten immer noch Qualitätsansprüche. Auch bei einem Gute-Laune-Liebesroman ärgert es mich zum Beispiel, wenn die Charaktere so komplex sind wie ein leeres Blatt Papier.
In letzter Zeit bin ich wirklich bass erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit manche Bestseller-Autoren ihre Bücher raushauen – und meist merkt man das auch. Mir kommt da gerade Sebastian Fitzek in den Sinn, bei dem ich den Eindruck habe, dass seine neusten Bücher sehr schablonenhaft geschrieben sind.
Ich habe euren Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt!
LG,
Mikka
Redbug Team
7. Mai 2017 at 13:37Hi Mikka,
danke, für deine Meinung!
Wert … es ist interessant, dass das Wort im Deutschen, genauso wie wertvoll, eine dopplete Bedeutung hat. Nämlich sowohl: „kostbar, teuer, hochwertig“ als auch: „nützlich“ heißen kann. Daher kann eine Sache – nicht nur ein Buch – einen hohen persönlichen Wert haben, nützlich sein, aber gleichzeitig wertlos (im Sinne von kostbar, teuer) sein. Ein Foto, ein alter Gegenstand usw.
Ein gutes Buch hat einen hohen kulturellen Wert. Ein schlechtes Buch kann aber einen hohen persönlichen Wert haben (zum Beispiel, weil es die Großmutter geschrieben hat … ) Ob es unterhaltsam ist, ist dann noch eine andere Sache.
Das wäre ja auch ganz egal, wenn das Buch in unsererm Land nicht als KULTURGUT gelten würde. Wir haben das Buch in diese Position erhoben. Was toll ist und sich durch den besonderen Steuersatz auch ausdrückt. Aber auf der anderen Seite gibt es dann aber eine Verpflichtung, etwas was BUCH heißt, zu einem Kulturgut zu machen. Sonst ist das Buch eben doch „nur“ ein Gegenstand wie alle anderen. Man kann ihn gut finden oder nicht. Er kann wertvoll sein, oder nicht. Und es verdient keinen besonderen Steuersatz, den Einige ja sowieso abschaffen wollen.
Du sagst: Ist ein Buch zu lesen nicht besser als keins zu lesen? Wir finden, wenn es nur irgendein – vielleicht sogar schlecht geschriebenes, lieblos oder nachlässig oder gierig hingeschrieber Text ist, dann sollte man wohl besser NEIN sagen.
Fitzek (obwohl wir keine Fans sind) muss man zumindest etwas verteidigen. Er ist im Grunde auch „Opfer“ des Buchgeschäfts. Gerade ist er angesagt, seine Bücher laufen, und der Verlag will schnell mehr Bücher von ihm. Wer weiß, wann die Welle vorbei ist? Also schreibt er vermutlich schneller als es gut ist. Es ist schwer, der Eitelkeit zu widerstehen, wenn man auf einer Erfolgswelle schwimmt. Doch wir Leser haben ja auch noch ein Wörtchen mitzureden und müssen seine Bücher weder weiter kaufen, noch lesen … und warten, bis er sich wieder mehr Zeit zum Schreiben nimmt.
Danke, für das Verlinken, deinen Blog kennen und mögen wir!
nomadenseele
7. Mai 2017 at 14:54Meine Antwort ist ein wenig länger geworden, weswegen einen eigenen Blogeintrag gab: https://nomasliteraturblog.wordpress.com/2017/05/07/eine-antwort-auf-mindful-reading-gedanken-ueber-das-lesen/ Ich versuche, diesen in einem anderen Kommentar rüberzukopieren, ich hoffe, die Formatierungen funktionieren.
nomadenseele
7. Mai 2017 at 14:56* Doch in letzter Zeit wird immer öfter so getan, als ob es ganz gleichgültig wäre, WAS gelesen wird. Lesen ist mit einem SEHR WERTVOLL-Label ausgestattet, das uns immer öfter darüber hinwegsehen lässt, dass es da draußen auch eine Menge Schund gibt, der keinesfalls wert ist, gelesen zu werden. Denn er bildet nicht und trägt auch nicht zu einer besseren Kommunikation bei. Ganz im Gegenteil, man kann schon sagen, er verblödet. Denn für jeden dieser Trivialromane, wird ein gutes Buch weniger gelesen. Ein Leseslot mit etwas anderem als Literatur/guter Unterhaltung/Bildung/ gefüllt.
Wobei – schon klar – ganze viele Bücher sollen gar nicht bilden oder den Geist erheben. Sie sind … einfach nur zur Unterhaltung und Ablenkung gedacht.*
Was mir nur noch in den seltensten Fällen ausreicht. Dazu muss ein Autor schon sehr gut sein, wie z.B. Robert Goddard. Wenn ich mir Rezensionen auf anderen Blogs, gerade zu Krimis durchlese, dann treffen deren Geschmäcker zu 90% nicht auf mich zu. Ich bin nicht schon dann dankbar, wenn, wie jemand es sinngemäß ausdrückte, ein Buch leidlich unterhaltsam ist. Wenn es schon ein Buch ohne inhaltlichen Anspruch ist, dann muss es schon sehr unterhaltsam oder gar spannend sein, damit ich meinen Spaß daran habe. Und da dies immer weniger der Fall ist, die Wahscheinlichkeit, dass mir ein vor 15-20 Jahren geschriebenes Buch gefällt ist wesentlich höher als bei aktuellen Büchern, rücke ich immer mehr vom Genre ab.
* Trivialliteratur und Heft- und Groschenromane hat es immer gegeben. Leichte Unterhaltung, die nicht fordert, denn meist sind die Geschichten schablonenhaft einfach, voller Klischees und ohne intellektuelle oder psychologische Tiefe. Macht nichts. Jedem sein Vergnügen. Was lesen wir auf Buchblogs: „Wenn ich lese, will ich mein Gehirn abschalten.“ Und ja, mit vielen dieser Trivialromane kann man das ganz wunderbar.
…
Trivialliteratur – das war schon immer eine große Industrie. Autoren haben unter Pseudonym massenhaft sehr einfach gestrickte Geschichten produziert. Egal ob Krimi, Science Fiction oder Liebesromane, das ging schnell, denn es gab eine Schablone, ein Schema: Der reiche Arzt trifft die unschuldige Schwester, der reiche Geschäftsmann die naive Sekretärin. Und zwar immer und immer wieder. In dieser Art Geschichten ist weder echte Emanzipation vorgesehen noch Entwicklung. Und am Ende – steht jedes Mal das Happy End.*
Wobei ich nicht gleichsetzen möchte, dass jeder, der Trivialliteratur liest, doof ist. Jemand, der einen stressigen Job hat – egal ob Manager oder Kassierer – hat oft einfach nicht mehr den Kopf für anspruchsvolle Literatur frei. Wenn man diese Bücher zur reinen Entspannung liest, sehe ich daran nichts Schlimmes.
Es ist, wie AngelTearz schreibt: Die Beine hoch legen oder in irgendeine Ecke kuscheln, vielleicht etwas leckeres zum Essen oder Trinken dazu und Buch aufklappen. Und lesen! Das kann ich stundenlang und es wird mir nicht langweilig. Denn Kopfkino ist einfach genial und nicht schwer.
Es entspannt die Augen mehr als auf einen Monitor zu schauen und es entspannt den Körper. Wenn ich richtig runterfahre und mich niemand stört, dann denkt sogar mein Fitbit, dass ich schlafe. Ich entspanne, der Herzschlag geht runter und der Körper kommt zu Ruhe.
Wäre nicht so, wenn ich in dem Moment nicht lesen würde.
Genau dies ist mir auch oft wichtig: In Ruhe unterhalten zu werden, kein Geplapper aus dem Fernsehen, Computer oder Hörspiel. Einfach absolute Ruhe. Nur allzu doof sollte es dann doch nicht werden.
*Buchblogger
Sie sehen sich selbst als Botschafter des Buches. Sie sind schon deshalb gute und bessere Menschen, weil sie lesen. Sie haben Slogans und Merksprüche und jeder einzelne sagt: Wir sind keine Nerds, wir sind cool, denn wir lesen.*
Ja, davon gibt es leider zuviele. Diese ganzen kulturell doch so hochwertigen Menschen, die komischerweise aber gleichzeitig die Blogger mit den höchsten Followerzahlen sind. Mich schrecken sie als Personen in ihrer Arroganz eher ab, aber ich habe es grundsätzlich gerne down to earth. Ich werde nie vergessen, wie eine Bloggerin in einer Diskussion einmal meinte, Computerspiele würden sie langweilen. Meine Frage, was sie denn bis jetzt gespielt habe, bekam ich nie eine Antwort. Dabei ist jedes Krimi-Adventure geistig fordender als einen Krimi zu lesen.
* Viele sind Botschafter der Literatur und fördern das Lesen. Doch dieser Anteil wird immer kleiner.*
Ich bin Botschafter von exakt niemanden, nicht einmal von mir selbst. Das hier ist ein Literaturtagebuch, und es steht jedem frei es zu lesen oder dies zu lassen.
*Stattdessen tauchen immer mehr Buchblogger auf, für die ein Buch nicht anderes ist als ein neuer Nagellack, ein Kleidungsstück oder ein Cupcake. Etwas, das man auf jeden Fall in großer Anzahl besitzen muss, das einen besser aussehen lassen soll, das man schnell und mit Genuss verspeisen können möchte.*
Schuldig im Sinne der Anklage. Ich fühle mich wohl in meinen Bücherwänden. Beim Aufräumen hat es mir ein durchaus wohliges Gefühl verschafft, zu sehen, was ich alles an tollen Büchern besitze.
* Wer erinnert sich, dass Bücher als Kulturprodukte gelten und daher nur mit 7 % Mehrwertsteuer besteuert werden? Dieses Siegel haben der Großteil der Bücher aber schon lange nicht mehr verdient. Es ist keine Kultur, bloß weil Buch draufsteht. Im Gegenteil. Viele intelligente Apps und Computerspiele verdienen mittlerweile sehr viel eher das Prädikat Kultur und wertvoll.*
Bingo. Wie ich schon schrieb: Es Krimi-Adventure ist fordernder als einen Krimi zu lesen.
Redbug Team
8. Mai 2017 at 13:05Danke für deine ausführlichen Kommentare. Den ganzen Artikel habe wir auf deinem Blog gelesen, den wir nur empfehlen können – ja, es ist gut, in andere Welten abzutauchen.
Hier sei noch mal klargestellt, das wir weder finden, wer Trivialliteratur liest, ist doof, noch etwas gegen Unterhaltung haben. Überhaupt nicht. Jeder Mensch ist anders, daher ist es gut, wenn es eine Vielfalt gibt!
Simon Segur
7. Mai 2017 at 16:42Mich lässt der Artikel zweifelnd und ratlos zurück – worauf läuft er hinaus? „Lasst uns das ändern“ ist zwar naiv-herzlich gemeint, ließe sich aber nur über eine bessere Bildugspolitik umsetzen. Was bleibt von der Aussage? Schund ist doof. Okay, ganz meiner Meinung. Aber sollen wir jetzt alle Klassik hören, weil das „besser“ wäre als Pop und Schlager? Sollen wir alle jetzt nicht mehr Star Wars ansehen, sondern nur noch Kaurismäki? Utopisch. Und auch nicht erstrebenswert. Ich glaube auch nicht, dass es heute mehr Schund-LeserInnen gibt als früher. Sie haben nur über Blogs und SP eine Plattform gefunden, um sich mitzuteilen. Was ist daran schlecht? All die Blogger, die eine Schmonzette mit 5 von 5 Teddybären veredeln, sind außerdem noch jung. Sie werden nicht ewig so etwas lesen, haben Bücher, sogar die schlechten, doch die Eigenschaft nach neuen Büchern greifen zu lassen. Für mich waren Groschenromane die Einstiegsdroge, die mich zu Goethe und Proust führten. Wieso glaubt Ihr, dass junge LeserInnen auf der Schundstufe stehen bleiben? Abgesehen davon wäre ein bisschen Differenzierung angebracht: Für Perry Rhodan schrieb und schreibt etwa auch Andreas Eschbach, der mit seinem 1 Billionen-Dollar-Man den großartigen Versuch startete, das Bank- und Geldwesen für jeden von uns zu erklären. Und dass die schnellschreibenden Schundschreiber davon reich werden, hust, das ist freilich mit wenigen Ausnahmen anzuzweifeln. Womit ich wieder bei den Eingangszeweifeln wäre: Klar wär’s toll, wenn mehr Leute mehr bessere Bücher lesen würden. Aber welche Vorschläge habt Ihr denn?
Ratlose Grüße!
Nomadenseele
7. Mai 2017 at 23:38Vor allem gibt es ja auch Blogs, die zwar wenige, aber dafür hochklassige Bücher vorstellen, Klappentexterin und BuzzAldrin fallen mir spontan ein. CrimeNoir und DerSchneemann stellen eher höcherwertige Krimis vor. Manchmal muss man nur andere Blogs lesen, um in andere Welten einzutauchen.
Redbug Team
8. Mai 2017 at 13:36Hi Jonas Torsten oder auch Simon,
um das erneut klarzustellen: Wir sind überhaupt nicht gegen Unterhaltung. Star Wars/George Lucas ist sehr gute Unterhaltung, Kaurismäki ein anspruchsvoller Regisseur, aber beides sind Beispiele für eine Kultur, wie wir sie uns wünschen. Leidenschaftlich gemachte Filme oder Bücher, die sowohl inhaltlich interessant sind, als auch gut gemacht. Es gibt hervorragenden Pop. Und vermutlich auch Schlager – wobei sich keiner von uns damit gut auskennt.
Und es ging nicht darum, Leser oder Autoren zu verurteilen. Jeder soll lesen, was er mag. Jeder soll schreiben, was er mag.
Tatsächlich ging es uns darum – vielleicht sogar leicht provokativ – eine Diskussion über das Lesen anzustoßen. Und die Behauptung zu hinterfragen: „Es ist gut, zu lesen.“ Und nicht genauer hinzusehen – was. Wenn du von Groschenromanen zur Literatur gefunden hast, ist das wohl eher die Ausnahme. Und es gibt gute Autoren, die nebenher „Schund“ geschrieben haben, um zu überleben. Wofür man ja nur dankbar sein kann, weil es sonst ihre großartige Literatur nicht gegeben hätte.
Haben wir Vorschläge? Vielleicht: Vermittelt Literatur in der Schule so unterhaltsam und gut, dass man versteht, warum es gute Bücher sind und später Lust hat, weiter Literatur zu lesen.
Oder: Lasst uns mehr über die Qualtiät von Büchern reden. Und die Qualität des Lesens – aber, das tun wir wohl gerade, oder?
Immer noch optimistische Grüße!
Die Redbugx