Trial and Error oder: Gott ist eine Insel
Ich habe neulich einen TED Talk gesehen, der sich mit der Frage beschäftigte: Warum werde ich nicht besser in Dingen, die mir am Herzen liegen?
Der Autor oder Sprecher meinte damit ganz einfach, was ist der Grund dafür, dass es Dinge gibt, die wir Tag ein Tag aus praktizieren und in denen wir trotzdem nicht zum Meister werden. Nehmen wir mal an, es geht ums Kochen. Jeder von uns kocht. Manche hin und wieder, andere jeden Tag, wieder andere so gut wie gar nicht. Aber jeder kocht. Und isst. Jeden Tag. Wieso ist es trotzdem so, dass die wenigstens von uns Meisterköche oder Stargourmets sind? Ganz einfach deshalb, weil es den meisten von uns gar nicht daran gelegen ist. Das ist einfach zu verstehen und gut nachvollziehbar. Aber wie sieht es aus bei Dingen, die uns wirklich wichtig sind? Sagen wir mal, dein Beruf, deine Beziehung, deine Elternschaft oder sportlichen Ambitionen? Warum stagnieren viele von uns in Bereichen, in denen man sich Tag für Tag anstrengt, gute und vorzeigbare Leistungen zu erbringen.
Denn das ist, den Statistiken zufolge, die Eduardo Briceño zur Beantwortung seiner Frage ausgewertet hat, so. Wir stagnieren. Im Beruf. Oder in der Liebe, oder in sonst irgendwelchen leidenschaftlichen Unterfangen.
Und der Grund dafür ist ein alter Freund. Einer, dem man am liebsten die Tür vor der Nase wieder zuschlägt, wenn er gerade erst geklingelt hat. Ja, manchmal sehen wir ihn schon durch den Spion und machen gar nicht erst auf. Der Nichtsnutz grinst dann nur, und macht es sich auf der Fußmatte bequem. Und eh man sichs versieht, jagt er einen im Affentempo durch die Rosenbeete.
Ja es ist unser leidiger Bekannter:
Die Angst vor dem Scheitern.
Düdüdüdööng.
Jetzt sagt man vielleicht, na, aber die Angst vor dem Scheitern ist doch eine gute Sache. (Schenkt ihr etwas Tee nach, beäugt misstrauisch die Kekse die sie mitgebracht hat.) Ich komme mit meiner Angst gut klar, sie sitzt da und starrt mich … an .. und ich habe den Eindruck, dass ist eine ganz gute Sache. Oder?
Fakt ist, die Angst ist da, um uns zu schützen. Vor dummen Fehlern, vermeidbarem Danebentreten, unzuverlässigem Rumgespinne. Sie sagt Konzentrier dich! Hier gehts um dein Leben!
Und das, so gibt auch Eduardo Briceño zu, ist eine gute Sache.
Aber eben nur manchmal.
Denn Eduardo Briceño zufolge können wir unser Leben in zwei, sich ständig wiederholende und einander stetig ablösende Phasen unterteilen.
Die PERFORMANCE Phase Und die LERN Phase.
In der Performancephase dreht sich, wie ihr Name schon selbstbewusst bezeugt, alles darum Leistungen zu erbringen. Eine hohe Punktzahl zu erreichen, die richtigen Worte zu finden, geschmeidig, mühelos und effizient durchs Leben zu gleiten. Kein Wischi Waschi, nur absolute Konzentration darauf, Fehler zu vermeiden. Und somit Erfolg zu haben.
Die zweite Phase nennt Eduardo Briceño die Lernphase. Sie klingt schon beim ersten hören etwas softer. Freundlicher. Aber auch irgendwie unbestimmt. Lernphase – also Vokabeln büffeln, oder was? Nicht nur. Die Lernphase ist die Phase, in der wir nicht nur unsere Leistungen auswerten und analysieren, sondern auch experimentieren. Spielen. Ausprobieren.
Denn nichts ist wichtiger als das Testen von Ideen, um in einer Sache besser zu werden. Und dafür ist es wichtig, furchtlos zu sein. Dafür, ist es wichtig, sagt Eduardo Briceño, sich sicher zu fühlen. Das Risiko auf ein Minimum zu schrauben und sich frei zu fühlen, danebenzutreten. Und das ist etwas, was uns die Performance Phase nicht geben kann. Nicht geben soll. Sie hat ihre absolute Berechtigung un ihren unbestrittenen Nutzen auf unserem Weg zum Erfolg.
80/20
Das einzige Problem ist, dass viele von uns, und dazu zähle ich mich selbst, ununterbrochen in der Performance Phase leben. Unablässig darauf abzielen, keinen einzigen Fehler zu machen. Absolute Sicherheit und Präzision an den Tag zu legen. Ein Chirurg, der das Messer anlegt, soll schließlich nicht eine Sekunde lang darüber nachdenken: Was wenn ich den Schnitt heute mal … woanders setze? Nein, nein, nein.
Aber auch ein selbsterklärter Lebenschirurg muss irgendwann üben. Muss irgendwann lernen, was es bedeutet ein Chirurg zu sein. Muss hier und da ein paar falsche Schnitte setzen (hoffentlich an dafür präparierten Lernbeispielen) und sich dann der Konsequenzen (hoffentlich so gut wie keine) bewusst werden.
Ununterbrochen im Performancemodus zu leben, heißt, die Angst vor dem Scheitern sitzt an deiner Bettkante, beobachtet dich beim Schlafen, öffnet deine Post und trinkt deinen Tee alle. Ohne Miete zu bezahlen. Sie regiert dein Leben. Und du versuchst, es ihr recht zu machen. Versucht sie zu ignorieren. Versuchst, dich auf dem Weg ins Bad an ihr vorbeizuquetschen, versucht davon abzusehen, dass sie all deine Sender auf der Fernbedienung anders eingestellt hat.
Versuchst, immer alles richtig zu machen.
Und stagnierst. Weil du auf dem Weg zur Arbeit immer den gleichen Weg fährst. Weil du weißt, was du kannst und das gewissenhaft erledigst. Weil du keine Ahnung hast, was passieren würde, wenn du einen Fehler machst. Weil du versessen darauf bist, es niemals rauszufinden.
Bei all der Anstrengung ist es, so erklärt Eduardo Briceño, optimal, so gut wie 80 Prozent seiner Zeit in der LERNPHASE zu verbringen. 80 Prozent! Das heißt, es bleiben noch läppische 20 Prozent in denen es darum geht, Fehler zu vermeiden. Das ist so gut wie gar nichts! Wie soll das gehen?
In dem man Inseln schafft, sagt Eduardo Briceño.
Inseln im weiten Meer von Erwartungen.
Inseln auf denen man mal testet, ob man Talent zum Singen hat. Oder übt, sich bei jemandem zu entschuldigen. Inseln, auf denen man eine Sache ausprobiert und wenn die nicht klappt, eine andere Sache ausprobiert. Und wenn die nicht klappt, eine andere Sache ausprobiert, und wenn die nicht klappt … solange, bis man’s drauf hat. Bis man ein stählerner Gladiator in schimmernder Rüstung ist, der mit wehenden Fahnen in die Performance Phase eintritt. Mit neuen Ideen, mit neuen Erkenntnissen und mit einem neuem Verständnis.
So und nicht anders wird man besser in etwas.
Trial and Error. Und wenn dein Kopf jetzt nach hinten auf die Sofalehne klappt, und du dir denkst, dafür hab ich mich durch den ganzen Beitrag durchgelesen, um die Stimme meiner Großmutter in meinem Kopf zu hören, die sagt, probier es doch einfach, was soll schon passieren …!
Dann kannst du ihn ja ein bisschen daliegen lassen und das gute Gefühl in dich einströmen lassen, dass du gerade alles richtig gemacht hast. Du hast dich auf etwas eingelassen, selbst wenn es nur ein Blogbeitrag ist, von dem du nicht wusstest, ob es dich weiterbringt. Von dem du gehofft hast, dass es dir Spaß macht ihn zu lesen. Von dem du dich einfach überraschen lassen wolltest. Und, dass du etwas herausgefunden hast! Selbst wenn es nur eine ganz kleine Sache ist. Über dich selbst.
Und was hat das mit Luther zu tun?
Wovor hast du am meisten Angst? Was ist es, was das Scheitern so gefährlich macht?
Für Luther war das die Hölle. Die Vorstellung, dass deine Fehler nicht nur registriert, sondern auch bestraft werden. Das ultimative Wissen darum, dass das Leben eine Performance ist. In der du dich richtig zu verhalten hast. Und in der du dich fürchtest. Vor dir selbst und deinen Fehlern.Und gerade dieser Angst ist Luther ins Gesicht gesprungen, wenn er gesagt hat; ich suche einen gerechten Gott. Denn, wie sollen wir besser werden, bessere Menschen werden, wenn wir nicht lernen können gut zu sein? Wenn Gott für uns nichts anderes ist, als die Angst zu scheitern. Wenn Eduardo Briceño sagt, das Leben braucht Inseln zum Lernen. Dann war Luthers Insel – Gott.
Und die Angst tunkt grinsend ihren Keks in den Tee.
3 Comments
Roland
23. Juni 2017 at 15:32‚Trial and Error. Und wenn dein Kopf jetzt nach hinten auf die Sofalehne klappt, und du dir denkst, dafür hab ich mich durch den ganzen Beitrag durchgelesen, um die Stimme meiner Großmutter in meinem Kopf zu hören, die sagt, probier es doch einfach, was soll schon passieren …!
Dann kannst du ihn ja ein bisschen daliegen lassen und das gute Gefühl in dich einströmen lassen, dass du gerade alles richtig gemacht hast. Du hast dich auf etwas eingelassen, selbst wenn es nur ein Blogbeitrag ist, von dem du nicht wusstest, ob es dich weiterbringt. Von dem du gehofft hast, dass es dir Spaß macht ihn zu lesen. Von dem du dich einfach überraschen lassen wolltest. Und, dass du etwas herausgefunden hast! Selbst wenn es nur eine ganz kleine Sache ist. Über dich selbst.‘
Oh Isabel! Das ist bisher – meine Meinung – der beste, schönste und eingängigste Blogbeitrag zum Lutherthema. Mein Kopf klappt gerade nach hinten, meine Augen geschlossen und ich tunke einen Schokoladenkeks in den Tee meiner Erinnerungen. Nie, im Leben, auch instinktiv nicht, wollte ich mit meinen Handlungen, Vorhaben, mit dem wirklichen Tun – eine ‚Performance‘ abliefern. Wie ein Darsteller, der nach Beifall heischt, weil ihn das beflügelt, die Kräfte stärkt für neue Auftritte. Das wirkliche Leben ist anders. Nicht jeder kann sich aussuchen, wie er sein Dasein ‚darstellen‘ soll. Es gibt existenzielle Notwendigkeiten. Not zu überleben. Eines der guten Ratschläge die ich in jungen Jahren zu hören bekam (z.Bsp. von der Großmutter, lächel) hieß: Not schafft Kraft! Und: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!
Gott ist keine Insel, zu der man sich aufmachen kann. Hierzu erlaube ich mir einen meinen Lieblingsschriftsteller zu zitieren:
“ Mach dich nicht auf, um Inseln der Musik wie ein fertiges Geschenk zu suchen, das dir das Meer anbietet. Und das Meer um stickt sie mit seinem Spitzensaum, denn du wirst sie nicht finden, selbst wenn ich dich auf dem Strand niedersetze, der sie wie ein Kranz umgibt, und ich dich nicht zuvor dem Zeremoniell des Meeres unterworfen habe. Wenn du mühelos dort erwachtest, würdest du am Busen ihrer Frauen nur lernen können, wie sich dort die Liebe vergessen lässt. Du wirst von Vergessen zu Vergessen, von Tod zu Tod wandern…Und so wirst du mir von der Insel der Musik sagen: „Was gab es denn dort, das lebenswert war?“ Indes die gleiche Insel, sofern sie gut gelehrt wurde, bewirken kann, dass eine ganze Schiffsmannschaft aus Liebe zu ihr das Leben aufs Spiel setzt. (Aus Citadelle Antoine S. Exupéry, ) “
Es geht um das Zeremoniell. Sich zu unterwerfen, dem Meer, den Lebensbedingungen, den Notwendigkeiten. Aber nicht um ‚klein und ängstlich beizugeben‘ sondern um sich zu stärken, zu erkennen, sich zu üben wie man/frau Schwierigkeiten überwinden kann. Dazu braucht man kein klatschendes Publikum, sondern nur sich selbst. Als Spiegel. Und wenn sich dort ein lächelndes Gesicht zeigt, so bist du auf der richtigen Spur.
Danke für diese wunderschönen Zeilen. Weiter so, du bist auf der richtigen Spur.
Roland
Isabel
24. Juni 2017 at 14:08Roland, ich bin richtig bewegt von deinem Kommentar und deiner Bestärkung! Danke! Ein cooles Zitat zu dem Thema – ja Antoine S. Exupéry hat wohl recht, wenn er einen daran erinnert: die Belohnung ist dir nichts wert, wenn du dich nicht dafür einsetzten, ändern und verbessern musst. Was hilft es einem, von A nach B getragen zu werden, wenn man am Ende seine Beine nicht mehr spürt? :) Eine gute Erinnerung, für Zeiten, in denen man sich durch die Wogen kämpft und sich fragt, warum man überhaupt los geschwommen ist. Wie immer, sind deine Anmerkungen und Erfahrungen eine riesige Bereicherung und Inspiration. „Mein Kopf klappt gerade nach hinten, meine Augen geschlossen und ich tunke einen Schokoladenkeks in den Tee meiner Erinnerungen.“ Yess! Das macht mich glücklich.
Roland
24. Juni 2017 at 15:18Freude schafft Freude – und wenn ich mit meinem Kommentar dich ‚bewegen‘ und sogar bestärken konnte – dann ist sie auch auf meiner Seite. Es soll aber nicht schulmeisterlich sein, wenn ich u.a im Zitat von A.S.Exupéry schrieb:
…..“Indes die gleiche Insel, sofern sie gut gelehrt wurde, bewirken kann, dass eine ganze Schiffsmannschaft aus Liebe zu ihr das Leben aufs Spiel setzt. “
Das gilt nicht für die ‚Suche‘ nach dem Glück, die ‚Sucht‘ perfekt sein zu wollen, Höchstleistungen ‚darzustellen‘ sich verpflichtet zu fühlen, sondern soll nur ein Hinweis sein, dass ohne ‚Mühen‘ einem nichts in den Schoß fällt, egal in welchem Metier. Es kommt auf die Einstellung zum Tun darauf an. Nur das anzustreben, zum Ziel zu erklären, das einem Freude macht. Alles andere kann man lassen, oder es als notwendiges Übel betrachten, das vorübergehend aus existenziellen Gründen erforderlich sein kann.
Es gibt – so meine Meinung – heutzutage zu viele Ratgeber (Tenor: wie habe ich Erfolg) und zu wenig gute Lehrmeister über ein gutes Leben – was nicht mit einem ‚erfolgreichen‘ Leben zu verwechseln ist.
das war gemeint: wenn eine ganze Schiffsmannschaft sogar ihr Leben aufs Spiel setzt, um diese Insel zu erreichen. Mut zum Leben, Mut mal was ganz Neues zu machen, Mut an seine Grenzen zu gehen…. das gehört zur Kunst des Lebens (wie du weißt ist das für mich die wichtigste unter allen Künsten.)
Liebe Grüße
Roland