Martin Luther 2017

Martin Luther #26 Lutherdenkmale

29. Juni 2017

Gerade komme ich aus der Kunstgießerei Flierl, in der ich meine Skulpturen gießen lasse. Dort wird gerade unter anderem an einer neuen Lutherstatue gearbeitet. Der Rotary Club einer Kleinstadt am Südharz ist darauf gekommen, dass man im Jubiläumsjahr doch mit einem Lutherdenkmal daran erinnern könnte, dass Luther auf seinen Reisen auch einmal dort gewesen ist. Das alte Lutherdenkmal ist in den sogenannten Wirren des zweiten Weltkriegs verschollen. Man gibt eine kleine Summe, hofft, dass die Stadt noch was drauflegt. Zur Ausführung kommen sollte ein Abguss des Lutherdenkmals von Ernst Rietschel in Worms. Dafür hat das Geld dann doch nicht gereicht. Gott sei Dank. Man beauftragt einen ortsansässigen Bildhauer mit einem neuen Entwurf. Der freut sich, dass auch mal Geld in seine Richtung fließt. Auch ich freue mich für ihn.

Lutherdenkmal, das erste.

Während Lutherbildnisse schon zu Lebzeiten wie geschnitten Brot aus Cranachs Werkstatt abgesetzt wurden, hat das erste Lutherdenkmal einige Jahrhunderte auf sich warten lassen. Im Gegensatz zu den zeitgenössischen Bildnissen ging es dabei auch weniger um Luther oder Propaganda für ihn und die Reformation, sondern um preußisches Nationalbewusstsein. 1817 Napoleon war besiegt, Wittenberg preußisch, der Thesenanschlag dreihundert Jahre her und Friedrich Wilhelm III zog die Planungen für ein Lutherdenkmal an sich. Heikles Ding.

Bis dahin waren freistehende Standbilder Adligen oder Feldherren vorbehalten. Luther ist damit der erste Bürgerliche, dem diese Ehre zuteil wird. Schadow entwirft eine Lutherstatue, die dann mit gelegentlichen kleineren Abweichungen Vorbild für fast alle nachfolgenden Statuen werden wird. Sein Luther ist barhäuptig, ohne Tonsur,  schwerer, talarartiger Mantel, dicke Bibel in der linken Hand. So blickt er den Betrachter von seinem Sockel aus an und weist auf die Heilige Schrift.

Schinkel hat auf Anregung des Kronprinzen einen neugotischen Baldachin für den Luther entworfen. Ein genialer Kunstgriff. Zum einen wirkt das gesamte Denkmal dadurch im Stadtbild wesentlich größer. Also ein echter Hingucker. Zum anderen waren solche Ehrenbaldachine nicht nur für Herrscher, sondern auch in der Kirche als Traghimmel üblich. Sie werden heute noch bei Prozessionen über dem Allerheiligsten getragen. Außerdem wurden Bischöfe und der Papst oft unter einem Baldachin geleitet. Und nun also Luther himself. Und last but not least steht Luther nun als Nichtadeliger nicht so ganz im Freien, sondern gewissermaßen in einem Innenraum. Problem gelöst.

Lutherdenkmal -Wittenberg

Lutherdenkmal — Wittenberg

Worms et al.

Noch stilprägender als das Schadowdenkmal wird das Lutherstandbild in Worms. Es wird 1868 enthüllt und ist der zentrale Teile eines ausgedehnten Reformationsdenkmals mit einem Dutzend Figuren. Ernst Rietschel, der auch das Goethe und Schiller Denkmal in Weimar geschaffen hat, hat nicht nur die gesamte Anlage geplant, sondern auch den Luther modelliert. Die Figur wurde für ’zig Lutherdenkmale nachgegossen. Der posiert hier in einem seltsamen Kontrapost, den rechten Fuß über die Standplatte herausragend und pocht auf das dicke Buch in der linken Hand. Dabei ist sein Blick nach oben gerichtet, wo er wahrscheinlich Gott vermutet, der ihm ja beistehen soll – da in Worms vor dem jungen Kaiser.

Lutherdenkmal Worms

Lutherdenkmal — Worms

 

In Eisleben die gleiche Pose, rechter Fuß vor, Buch links, diesmal an die Brust gedrückt, Bannandrohungsbulle und Doktorhut sind dazugekommen.

Lutherdenkmal Eisleben

Lutherdenkmal — Eisleben

Ganz ähnlich in Berlin, modernere Schuhe, Buch aufgeschlagen. Insgesamt mutet die Haltung schwungvoller an. Aber die Pose ist dabei noch weniger nachvollziehbar. Man versuche mal, sich so hinzustellen.

Lutherdenkmal Berlin

Lutherdenkmal — Berlin

Lutherpose

Das bringt mir eine beeindruckende Vorlesung des unvergessenen Kunsthistorikers Max Imdahl in den Sinn. In seiner unnachahmlichen Eloquenz hat er damals äußerst kluge und originelle Gedanken zum Gegensatz zwischen Pose und Gebärde vorgestellt. Imdahl hat diese Erkenntnisse in zahlreichen Aufsätzen veröffentlicht. Einen guten Einblick gibt der Artikel in Zeit-Online vom 11. September 1987. Er erläutert: 

Grundsätzlich läßt sich die Meinung vertreten, daß eine Pose nicht eine Gebärde ist. Eine Gebärde vollzieht man selbst, um etwas von sich selbst aus oder gar sich selbst auszudrücken. Gebärde ist körpersprachlicher Selbstausdruck, Pose dagegen Fremdausdruck: Pose ist auferlegt, sie entpersönlicht, sie entindividualisiert denjenigen, der sie vollzieht. Die Pose ist eine falsche, eigentlich unwirkliche Ausnahmesituation, sie ist Selbstmanipulation oder Manipulation durch einen anderen.

Der Großteil der Denkmale zwingt Luther in eine Pose, reduziert ihn schlicht auf ein wiedererkennbares Zeichen. Talar, Bibel, grimmiger Blick. Ähnlich einem Stopschild. Achteckig, weißer Grund, roter Rand. Zur Sicherheit noch mit der Aufschrift STOP. Auch den Denkmalen gibt man gern noch etwas erläuternden Text bei, zumindest den Namenszug Martin Luther.

Lutherdenkmal Kopenhagen

Lutherdenkmal — Kopenhagen

Anders in Kopenhagen

Ein schönes Beispiel für eine selbstvollzogene Gebärde und eine Ausnahme unter den Lutherstandbildern ist, wie ich finde, die Skulptur von Rikard Magnussen in Kopenhagen. 1915 in Gips modelliert. Erst 1983 posthum gegossen. Ikonographisch ist vieles geläufig: Talar, rechter Fuß vorn, Bannandrohungsbulle, die Bibel in der linken Hand. Dennoch ist die Ausstrahlung durch die emotionale Geste eine völlig andere. Das Buch herunterhängend in die Hüfte gestützt. Wie ein beiläufiger, allgegenwärtiger Begleiter. Die Lese- und oder Schreibarbeit ist getan oder zumindest im Moment unterbrochen. Jetzt muss man sich darauf verlassen, dass es reicht. Der Blick nach oben, Hilfe suchend, aber auch überzeugt: Ich habe mein bestes getan und bin bereit, die Konsequenzen zu tragen. Eine in meinen Augen geniale Erfindung: die rechte, abgewinkelte, konzentriert Mut fassende Hand.

Mit emotionalem Mut könnte man heute Luther in seinen Verzweiflungen, Ängsten, Fragen und Erkenntnissen, in seinem Mut, in seinen Wagnissen, Überzeugungen, Antworten, Überheblichkeiten und Fehlern darstellen. Als einen Menschen. Er hätte es in meinen Augen verdient und wir auch. Ein Denkmal, dass über Luther und die Reformation hinausgeht. Ein Denkmal für das Menschliche. Das geht nicht? Ich denke schon.

 

 

    Leave a Reply